Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)
Durchsetzen sogenannter national befreiter Zonen durch Androhung und Anwendung
von brutaler Gewalt, was gewaltbereite frustrierte Jugendliche fasziniert und anscheinend magisch anzieht. Die Parteiarbeit mit dem Ziel einer rechten Volksfront wird organisiert durch Funktionäre, die im Westen geschult wurden. Neun der zwölf führenden Strippenzieher des braunen Netzwerkes Ost, darunter bereits mehrfach wegen Volksverhetzung und schwerer Körperverletzung Verurteilte, stammen aus der alten Bundesrepublik. Gewalttätige Aktionen, Schlägereien, Überfälle, Menschenjagden überlässt man Eigengewächsen Ost, kann sich anschließend gegebenenfalls distanzieren von den Tätern, die dreckigen Hände in Unschuld waschen. Das gemeinsame Ziel aber bleibt. Man wolle, verkündete Udo Voigt 2004 im rechten Zentralorgan »Junge Freiheit«, die BRD ebenso abwickeln, wie das Volk der DDR »vor fünfzehn Jahren die DDR abgewickelt hat«.
In den neuen Bundesländern kommen Gewalttaten mit rechtsradikalem Hintergrund dreimal häufiger vor als im Westen, was aber mittlerweile als alltäglicher Normalzustand Ost gilt. Da wird an einer Bushaltestelle in Pömmelte, einem kleinen Dorf bei Magdeburg, ein zwölfjähriger Schüler von fünf Jugendlichen gezwungen, ihnen die Springerstiefel abzulecken. Anschließend schlagen sie ihn zusammen.Wegen seiner dunklen Hautfarbe geriet er automatisch ins Visier der Rassisten. Ein anderer Junge wird, ebenfalls von Neonazis, auf dem Heimweg nach Hause verprügelt, doch aus Angst vor angedrohter Rache für den Fall einer Anzeige gehen seine Eltern nicht zur Polizei. Die Mutter sucht zwar Rat bei einem der Mobilen Beratungsteams, die es im wild gewordenen Osten überall gibt und die Jahr für Jahr um die nötigen Mittel kämpfen müssen für ihren Einsatz an vorderster Front, aber ihre Angst vor den Schlägern war größer als die Empörung über das, was die ihrem Sohn angetan hatten.
Einem Sechzehnjährigen, der in Zerbst bei einem Volksfest ein T-Shirt mit der Aufschrift »Gegen Nazis« trug, wurde ein Auge ausgeschlagen. Die Polizei vor Ort buchte zunächst alles ab unter Rangelei, wie sie halt mal passiert bei Jugendlichen. Freunde des Opfers protestierten öffentlich gegen diese Verharmlosung, erst
danach bequemte sich der Staatsschutz zum Eingreifen und fasste den Täter. Er wurde verurteilt zu acht Jahren Haft. Solche Beispiele ließen sich fortsetzen: der Überfall auf einen 35-Jährigen an einem Ostseestrand, der sich über die widerlichen Gesänge der Neonazis beschwert hatte und daraufhin von denen böse verprügelt wurde. Die Studenten, die vor einem Neonazitreffpunkt in Rostock angegriffen wurden. Unter den Angreifern war ein Mitarbeiter der NPD-Landtagsfraktion. Die junge Mutter aus Afghanistan, die mit ihren Kindern in einem Kaufhaus in Chemnitz erst übel beschimpft – sie solle dahin abhauen, wo sie herkomme – und dann eine Treppe runtergestoßen wurde. Italiener in der Kleinstadt Lübtheen in Mecklenburg-Vorpommern, die von drei Bundeswehrsoldaten in einer Gaststätte mit fremdenfeindlichen Sprüchen beleidigt und anschließend krankenhausreif geschlagen wurden. Das ist Alltag. Danach kräht häufig kein Hahn mehr.
Schlagzeilen machte dagegen der Mob, der nach einem Altstadtfest im sächsischen Mügeln indische Händler jagte und sich auch nicht von zwei Schutzpolizisten bremsen ließ, die sich schließlich gemeinsam mit den Gejagten im Keller einer Pizzeria verbarrikadierten, dort in Todesangst ausharrten, während drau ßen das Pack versuchte, die Türen aufzubrechen. Morgens um zwei Uhr traf endlich die von Polizeihauptmeister Andreas Reinhard angeforderte Verstärkung ein und vertrieb den Pöbel.
In Halberstadt wurden vierzehn junge Leute, darunter Schauspieler des dortigen Theaters, von Nazischlägern überfallen, einige von ihnen schwer verletzt. Die alarmierten Polizisten notierten zunächst Namen und Anschriften der Opfer, kümmerten sich trotz aller Hinweise nicht um die Täter, die das Geschehen grinsend beobachteten. Nachdem die endlich dann doch wenigstens befragt worden waren, ließen die Polizisten sie aber wieder laufen. Ihr vorgesetzter Einsatzleiter sah keinen Anlass, persönlich den Tatort aufzusuchen, und die Schaulustigen hatten nichts gesehen, als man ihre Aussagen notieren wollte.
Sei alles kaum verwunderlich, sondern typisch für die gesamte Situation in der Stadt, meinte der Intendant des Theaters, als sich
wenige Tage danach das »Bürgerbündnis
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