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Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Titel: Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
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dann meist bald zu einem Ende des Spuks führt. Bei uns bleibt die Substanz, weil sich eine wertbewusste und streitbare Zivilgesellschaft Ost noch nicht hinreichend stark aufbauen konnte. Das Vertrauen in die Demokratie ist schwach ausgebildet.«
    Das Erbe des untergegangenen Systems haben die neudeutschen Rechtsradikalen für ihre Ziele eingesetzt, das im Volk latent vorhandene völkische Potenzial mühelos genutzt. Die anständigen
Politiker, zu denen im Osten inzwischen nicht nur aufrechte Konservative, sondern auch viele demokratische Linke zählen, haben zunächst noch hilflos versucht, die aufkommende Gewalt als zufällig zu verniedlichen, die dahintersteckende Strategie, Angst und Schrecken zu verbreiten, eher totzuschweigen, dann zwar das tiefergehende Problem erkannt, aber inzwischen ist es »nicht mehr getan mit dem Erkennen oder dem argumentativen öffentlichen Bekämpfen«. Die Biotope der Neonazis bevölkern nämlich nicht mehr so sehr die Arbeitslosen, die im Zweifelsfall dann doch lieber die Linke wählen, sondern der Mittelstand in seiner Angst vor einem sozialen Abstieg. Denen bieten die Populisten scheinbar Schutz vor den Stürmen der Marktwirtschaft.
    Das sieht auch Rautenberg so. Polizei und Justiz allein schaffen es nicht mehr ohne radikalen Einsatz der bürgerlichen Zivilgesellschaft. Nicht die Verfolgung rechtsradikaler Straftaten, die Verurteilung von aufgefallenen Schlägern, ist heute so sehr sein Problem. Früher ja, da konnte man durchaus den Eindruck gewinnen, dass die Justiz auf dem einen Auge blind war.
    Was ihm Sorge macht, was ihn an die als Gefahr beschworenen Weimarer Zustände denken lässt, ist die nicht mehr einfach zu leugnende Tatsache, dass sich die Verfassungsfeinde in der Gesellschaft eingenistet haben. »Sie kümmern sich um die Sorgen der sogenannten kleinen Leute, das haben sie sich von der einstigen PDS abgeguckt. Sie besetzen mit ihren Anhängern die vom Staat geräumten Nischen, vorzugsweise auf dem Land, zum Beispiel wegen nötiger Einsparungen aufgegebene Jugendzentren, Dörfer ohne Kirchen, ohne Polizeiposten, ja, ganz banal: ohne Kneipe, wo man früher seine Sorgen untereinander am Stammtisch besprach.«
    Nach den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern wurden 2006 fünf Dörfer bundesweit als Biotope der Neonazis aufgelistet, alle gelegen in Ostvorpommern: Postlow mit 38,6 Prozent NPD, Bargischow mit 31,6, Blesewitz mit 32,2, Neu-Kosenow mit 31,1 und Neuenkirchen mit 30,1. Im Westen großes Erschrecken, bei Demokraten im Land jedoch kaum Verwunderung,
denn die Neonazis zwischen Pasewalk und der Ferieninsel Usedom, wo sich Deutsche Ost und Deutsche West sommers gemeinsam am Strand der Ostsee räkeln, wo Glanz und Gloria des ehemaligen Kaiserbades wieder aufblühen, gelten als besonders aktive Populisten. Sie haben unter harmlos klingenden Namen Vereine für Heimatpflege und Brauchtum gegründet, begießen den Heimatbund Pommern, lassen Volkstanzgruppen auftreten und bündeln in merkwürdigen Bürgerinitiativen das Unbehagen der Einheimischen gegen Flüchtlingsheime oder Asylbewerber. Alles in bewährter Doppelstrategie: adrette Biedermänner für die Indoktrination der Schwankenden und militante Brandstifter zur Abschreckung politischer Gegner.
    Von angereisten Journalisten befragt, warum sie denn NPD gewählt hätten, gaben Ortsansässige die schlichte Antwort, dass sie von allen anderen Parteien alleingelassen worden seien und dass die Rechtsausleger doch recht hätten mit ihren Parolen. Es stimme schließlich, dass die Schulen geschlossen wurden und Kinder nunmehr Stunden fahren müssen bis zum nächstgrößeren Ort. Stimme doch, dass der Konsumladen dichtgemacht hat und es keine Post mehr gibt und nur noch einen Pfarrer für viele Gemeinden statt einen für jede und auch der Bus nach Anklam nur noch einmal am Tag hält.
    Die NPD düngte mit dem herrschenden Missvergnügen ihren braunen Acker, hörte den Alten zu und bot den gelangweilten Jugendlichen einen renovierten festen Treffpunkt, klebte an Alleebäume und Hauswände Plakate mit dem schlichten Slogan »Zukunft statt Arbeitsamt«, die nicht zufällig zwei blonde deutsche Kinder zeigten, und brachte am Wahlsonntag reiche Ernte in ihre Scheunen.Vorpommern wird in ganz Europa von den Neonazis als beispielhaft gepriesen, als Modell, als Muster, als Maßstab.
    Neonazis sind also an den Bretterbuden der hoffnungslosen Trinker nicht mehr wegen ihrer Glatzen und Stiefel erkennbar und damit für die Polizei

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