Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)
national gesinnte deutsche Firma international boykottiert werden würde. Ich bin zwar grundsätzlich gegen Parteiverbote, aber bei der NPD würde ich eine Ausnahme machen, die werden einfach zu dreist.«
Die Braunen werden auch deshalb immer dreister, weil sie das Gefühl haben dürfen, dass manche Vertreter der uniformierten Staatsgewalt klammheimlich auf ihrer statt auf der Seite ihrer Opfer stehen, dass Polizisten ein Auge zudrücken, wenn sie einem – anders als sie – einfach nur Denkenden mal wieder eins ausgeschlagen haben, dass Richter, vor denen sie sich dann vielleicht doch mal verantworten müssen, über ihre Taten sehr milde urteilen und die Strafen zur Bewährung aussetzen, weil sie geneigt sind, brutale junge Schläger eher für verirrte pubertäre Jugendliche zu halten als für Verbrecher.
So wie die in einem kleinen Dorf in der Uckermark, in Potzlow. Mitte Juli 2002 war der sechzehnjährige Schüler Marinus Schöberlin verschwunden. Fortan galt er als vermisst. Vier Monate
später wurde seine Leiche in einer stillgelegten LPG gefunden. Man hätte sie nie entdeckt, wenn nicht einer seiner Mörder unter Gesinnungsfreunden damit geprahlt hätte, er wisse, wo der Vermisste liege, für zwanzig Euro sei er bereit, das Versteck zu verraten. So kam es heraus. Bei der Staatsanwaltschaft gaben er und seine beiden Mittäter die Einzelheiten zu Protokoll.
Eigentlich war Marinus nur zufällig zum Opfer geworden, sie hatten sich mit ihm und anderen zum Saufen verabredet und dann beschlossen, den Hiphopper zu klatschen. Sie hatten ihn wegen seiner gefärbten Haare als Juden beschimpft, weil sie offenbar in ihrer Beschränktheit gefärbte Haare als typisch jüdisch betrachteten, dann den Jungen unter allgemeiner Zustimmung aller Anwesenden verhauen. Sie pissten auf ihn, zwangen ihn dazu, sein Erbrochenes zu essen, folterten ihn mit dem unter Neonazis beliebten Bordsteinkick. Dabei muss ein Opfer seinen Kopf auf die Bordsteinkante legen, danach treten die Täter auf ihn ein. Inzwischen war Marinus bewusstlos. Die drei Täter, zwei siebzehn, einer dreiundzwanzig Jahre alt, brachten ihn auf das Gelände der LPG, schlugen ihn tot und versenkten die Leiche in der Jauchegrube. Anschließend fuhren zwei der drei, Brüder, nach Hause in ihr Elternhaus und legten sich schlafen.
Im Strafverfahren vor der Jugendkammer des Landgerichts Neuruppin wurden die Angeklagten nach 24 Verhandlungstagen am 24. Oktober 2003 verurteilt: Marco S. – unter Einbeziehung einer Vorverurteilung – wegen versuchten Mordes und anderer Straftaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünfzehn Jahren. Sein Bruder Marcel wegen Mordes und anderer Straftaten zu einer Einheitsjugendstrafe von acht Jahren und sechs Monaten. Sebastian F. wegen Körperverletzung und Nötigung zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren.
Als übrigens die Polizei im Sommer 2002 nach dem Vermissten suchte und im Dorf fragte, wer ihn wo zuletzt gesehen hatte, schwiegen auch die fünf nicht unmittelbar an der Tat Beteiligten. Dass in Potzlow, dessen Bewohner »tief erschüttert« waren, als alles herauskam, fünf Jahre vor dem Mord an Marinus ein
45-jähriger Sozialarbeiter von Neonazis, die aus dem Ort stammten, mit einem Baseballschläger totgeschlagen wurde, ist sicher nur ein Zufall. Und noch so ein Zufall: Unter denen, die von der Polizei nach den schon erwähnten »Sieg Heil«-Rufen in der Kirche des benachbarten Templin festgenommen wurden, befand sich Sebastian F., der inzwischen seine Haftstrafe verbüßt hatte. Er gehörte zu der Gruppe der zwanzig rechtsextremen Jugendlichen, war inzwischen 22 Jahre alt – und er war bewaffnet.
Die Ursachen für solche Gewalttaten sieht Generalstaatsanwalt Rautenberg nicht nur in den Strukturen der untergegangenen roten Diktatur, in der von oben befohlen wurde, was unten zu geschehen habe. »Die Wendezeit und die von nationalen Emotionen getragene deutsche Wiedervereinigung haben organisierte Rechtsextremisten aus den alten Bundesländern zur Propagierung ihres Gedankenguts in den neuen Bundesländern genutzt.« Er erklärt sich die zusammengewachsene Rechte auch damit, dass in beiden deutschen Staaten »das Patriotische, auf das man in schwarz-rot-goldener demokratischer Tradition hätte stolz sich berufen können«, verdrängt worden war. In der DDR ging das sogar so weit, dass die Hymne mit der Zeile »Deutschland, einig Vaterland« nicht mehr gesungen, sondern nur noch gespielt wurde.
Die Stadt Brandenburg, der
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