Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)
erobert oder verteidigt werden muss. Und dass man an sie glauben muss, so wie sie Winston Churchill 1947 in einer berühmten Rede vor dem britischen Unterhaus definiert hat: »Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen – abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind.«
Um die Demokratie zu stärken, braucht es die richtigen Ideen, braucht es eine Doppelstrategie, einmal die Abschrecktruppen à la Schönbohm und zum anderen den Einsatz von gleichfalls mobilen Teams, die beratend tätig werden, sobald man erfährt, dass Wölfe um die Häuser schleichen. Platzeck sieht die Prävention als politisch richtige Antwort auf die Rechten: »Bevor die Nazis in die Schulen gehen und da Propaganda machen, wollen wir schon da sein.« Oder vor den Schulen Mahnwachen aufstellen, die Händler des besungenen Hasses daran hindern, CDs mit der Musik ihrer Neonazibands anzubieten. Die demokratischen Igel, die bereits da sind, wenn die braunen Hasen einlaufen, sollten allerdings nicht »theoretisch auf einer Volkshochschule im Westen ausgebildet worden sein« (Hülsemann), sondern aus dem Osten stammen und die Sprache derer verstehen, die sie ansprechen.
Alle diese Aktionen seien zwar nach wie vor notwendig, aber Generalstaatsanwalt Rautenberg bezweifelt, ob sie auf Dauer etwas nützen. Hochglanzbroschüren und Aufrufe, alles richtig, aber damit erreiche man doch nur die, die nicht missioniert werden müssten, weil sie eh zu den Aufrechten gehören. Wichtig wäre dagegen ein Konsens der Demokraten, zu denen er auch viele aus der Linken zählt, sogar die Alten in dieser Partei, wichtig wäre ein Zweckbündnis von stramm konservativ bis hin zu linksautonom, um gemeinsam die national befreiten Zonen zurückzuerobern und mit sichtbaren Leuchttürmen der Demokratie zu bestücken. Das Geld nicht per Gießkanne übers Land verbreiten, sondern überall dort schwerpunktmäßig einsetzen, wo die Neonazis stark geworden sind.
Es ist ja nicht so, dass bisher nichts geschehen ist – im Gegenteil, der Aufstand der Anständigen manifestiert sich in mehr als 4500 Initiativen und Projekten einschließlich eines Aussteigerprogramms für Neonazis. Im Jahre 2007 hat die Bundesregierung allein für Prävention und Opferhilfe 18 Millionen Euro ausgegeben. Gedacht insbesondere für die Bürgermeister der gefährdeten Kommunen, die dann vor Ort konkret ihre Feinde attackieren können. Allerdings müssten sie den ersten Schritt tun, und der fällt vielen schwer: Sie müssten zugeben, dass es tatsächlich bei ihnen eine rechtsextreme Szene gibt, was ja nicht gerade ihr Image fördert.
Der eigentlich nötige Aufbau Ost bedeutet in dieser Konsequenz Abbau Ost – die Stützpunkte von NPD und DVU abzubauen, deren Nischen auszuräuchern, ihre Wärmestuben zu schlie ßen und Eigenes aufzubauen. Zum Beispiel Jugendtreffs, geführt von hauptamtlich und entsprechend ordentlich bezahlten Staatsdienern der demokratischen Art, zum Beispiel vom Staat finanzierte Bürgerbüros, die sich konkret um die Sorgen der kleinen Leute kümmern, immer natürlich verbunden mit entsprechender Polizeipräsenz vor Ort. »Ich plädiere nicht für eine Erhöhung der Ausgaben«, sagt Rautenberg, »sondern für den sinnvolleren Einsatz der vorhandenen Summe, das wäre ein anderer, der richtige Aufbau Ost, denn woran es in den neudeutschen Bundesländern mangelt, ist demokratisches Bewusstsein, das im Westen über viele Jahrzehnte zur heutigen Stärke gewachsen ist.«
Zunächst gilt die Parole, wachsam zu sein. Immer häufiger geschieht es etwa, dass sich NPD oder DVU oder deren im braunen Netzwerk vertretene Anhänger unter dem Deckmantel wohlgefälliger, nach Heimat und Vaterland anmutender Vereine um brachliegende Immobilien bemühen. Die NPD hatte im Zuge dieser Taktik einen Mittelsmann benutzt und bei Fürstenwalde ein Gut samt 600 000 Quadratmeter Land und Nebengebäude vom damals 84-jährigen Vorbesitzer erworben, der in einem Pflegeheim lebte. Als staatliche Stellen vom Deal erfuhren, war alles bereits unterzeichnet.Auf Gut Johannesberg sollte ein Landschulheim
für »national gesinnte Familien« eingerichtet werden. Die NPD verlor dennoch ihr Schnäppchen, weil sie nicht rechtzeitig den Eintrag ins Grundbuch geschafft hatte. Nach lauten Protesten der angesichts der künftigen neuen Nachbarn erschreckten Bürger annullierte der ehemalige Eigentümer, der nicht wusste, dass er an Neonazis verkauft hatte, den Vertrag. Die schon
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