Wie halte ich das nur alles aus?: Fragen Sie Frau Sibylle (German Edition)
mehr verstehen, und dann werde ich wütend, und dann schreibe ich eine Eingabe wegen des Kindergartens oder des Heims für Obdachlose. Die sollen doch sehen, wo sie bleiben. Oder die Schröder, oder heißt sie jetzt schon wieder anders, und der Flugverkehr … Lassen Sie uns nicht darüber reden. Ich stellvertretend für wir, sie verstehen schon. Die überfordernde Globalisierung, die macht, dass man Menschen als verwandt begreift. Denn jetzt sieht man sie in Blogs und Videos, und sie sehen nicht aus, als lebten sie in einer großartigen Zeit. Das Bewusstsein für diese Ungerechtigkeit, die das Leben nun mal ist, das wächst, und das Gefühl der eignen Nichtigkeit wächst kräftig mit. Was immer ich auch weiß, es weiß jemand mehr und besser, und schon verlasse ich das eigentliche Problem und beginne abstrakt den Vertreter irgendeiner Meinung zu irgendeinem Problem tief zu verachten. Kollaps der Synapsen. Dauerregen im Kopf. Alle scheinen so wütend, so gestresst und gereizt, und man sollte uns alle wie Kinder zu Bett bringen, dass wir endlich einmal wieder schlafen können, unangetastet von den Problemen dieser Welt, die keiner von uns retten wird.
Wie verhalte ich mich
zu all dem Elend in der Welt?
Tote Kinder, arme Alte, Hunger, Überproduktion, Tiere kann man wirklich nicht mehr essen, doch, die Schuhe sind aus Leder, die Taschen sind aus Leder, warum sind die eigentlich aus Leder, und was ist mit der Milch und dem Müll und der Luft und den Eisbergen, den Flugverboten, den Frauenhäusern, der Männergewalt, fünf Wochen alte Babys, die vom Vater genommen und von der Mutter dabei gefilmt werden, alles als Überschrift konsumiert zum Frühstück, Mittag- und Abendessen, macht Wut und Angst und Überforderung. Jedes Problem, aufgeklappt und untersucht, macht eine Positionierung unmöglich, und selbst wenn man eine Position hat, was macht man mit der? Sudanesische Produkte boykottieren? Welche sudanesischen Produkte? Spenden, demonstrieren? Was macht man mit der Auflösung der Welt, wie wir sie kannten? Menschen griffen stets, bot sich ihnen die Gelegenheit zur Boshaftigkeit, beherzt zu. Aber nun? Beschleunigung und Wachstum an allen Enden, eine Explosion nicht in Sicht. Und wir sitzen da und haben so ein Gefühl im Magen, das auch mit Säureblockern nicht milder wird.
Da läuft alles falsch, denken wir und haben die Titelblätter der Zeugen Jehovas-Hefte im Kopf: happy Rehe äsen auf Auen. Nix da, hier wird nicht geäst. Da versteht man jeden, der in Religionen flüchtet, untertaucht in Sekten und irgendwelchen anderen Gruppierungen, wo die Anhänger die Köpfe geneigt halten und in die matte Sonne blinzeln. Wir, denen es nicht gegeben ist, unseren Geist einer eindimensionalen Lehre unterzuordnen, beobachten die Erde vor dem Aufprall auf einen imaginären Bremsbock. Fragen uns, ob wir übertreiben. Ob nicht jede Zeit den Menschen die schrecklichste schien, weil unser Leben immer schrecklich endet und das Grauen mehr eine Alterserscheinung ist als die realistische Betrachtung der Welt.
Irgendeinen Zeitpunkt hat jeder, da merkt er, dass sein Leben auf einen Abgrund zurast, der sich unter der Erde befindet. Verwechselt man dieses Gefühl des atemlosen Grauens mit der Erregung ob des Zustands unserer Welt? Ginge es uns besser, säßen wir ohne Medieneinwirkung auf freundlich temperierten Inseln? Aber wie soll das gehen, wenn alle nachkämen, und der erste würde wieder beginnen, aus seiner Palme Profit zu schlagen, die Fischrechte zu verkaufen, die Wasserabgabe zu kontrollieren. Keine Lösung.
Wer jung ist, kann an die Veränderung glauben. Kann im hormonell umnachteten Tunnelblick mit Flashmobs, Empörung und Internetaktionen an die Weltrettung glauben. Der ältere Mensch weiß um die Unsinnigkeit der meisten Proteste, bleibt zu Hause, wird bitter und beobachtet seinen Körper auf der Talfahrt. Glaubt man, dass Hollywoodfilme irgendwelche Trends vorausahnen, so nickt man bei der Flut an Filmen, die in exterritorialen Gebieten spielen. Vielleicht wird das Ende der Welt, wie wir sie kannten, der Neubeginn im All sein. Oder es wird alles so weitergehen wie bisher, nur voller und erbärmlicher. Oder wir sitzen die restliche Zeit auf einer Insel ab und hoffen, dass uns dort keiner findet.
Verblödet die Jugend immer mehr?
Mein Unwille, im Internet zu suchen, wie der Herr hieß, der kürzlich versuchte, mit der uralten These, dass die Jugend immer dümmer wird, einen Bestseller zu lancieren, könnte Zeichen
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