Wie ich mir das Glück vorstelle
Glücklichen reist, weil der Vater das so will. Sicher ist, dass es tagelang ohne Pause durchschneit und einer die Kuh aus dem Stall in die Küche holt, damit es nicht so kalt ist. Sicher ist, dass ich ein paar Jahre nach dem Erscheinen von der Jungfrau Maria zur Welt komme und viele Jahre bevor die Söhne Marias sterben, meine Brüder. Den genauen Tag weiß ich nicht. Aber das Ende. Die Küche voller Blut, die Mutter so gut wie tot, der Rest der Welt still vor Schreck.
Den Ort kannst du dir so vorstellen: Von einer Straße geht ein Weg ab, der aussieht, wie wenn ein Panzer über große Steine fährt und alles platt macht. Nach einem anstrengenden Fußweg taucht zwischen zwei Felsen aus dem Nichts plötzlich ein Gittertor auf, das sehr laut quietscht, wenn du es aufmachst. Du kommst an einem Kuhstall und an einem Schweinestall vorbei. Wenn du Glück hast, stehen die Tiere draußen und du kannst dir die angucken. Ich bewerfe die Kuh mit Steinen oder füttere die Schweine mit Disteln. Dann ist da noch ein Brunnen. Den sprengt der Vater mit Dynamit aus dem Boden, als der ungefähr so alt ist wie ich jetzt. Von dem Brunnen aus kannst du gut über die Felder und Weinberge vom Opa sehen. Wenn du nicht schnell rennen kannst, gehst du da aber nicht hin. Der Bruder sieht dort eine Schlange. Außerdem steht eine kleine Scheune auf dem Hof, da sind die Hühner und die Eier drin.
In den Ferien bin ich immer hier bei der Oma. Ich treibe mich am Brunnen rum. Hinter dem Brunnen schlachten die heute schon ein Kalb und jetzt ist da überall Blut. Mit einem Stock grabe ich den Boden auf und steige da rein. Ameisen krabbeln auf meine Füße drauf. Das fühlt sich an, wie wenn mich der Doktor durchkitzelt und nachguckt, ob ich auch alles mitbekomme. Ich bekomme alles sehr gut mit.
Keiner ist da. Nur die Oma ist in der Küche und macht eine Pfanne für den Mann, der das Kalb schlachtet. Der sitzt auch in der Küche. In die Pfanne macht die Oma viel Fett, die Niere und die Leber und etwas Fleisch von dem Kalb. Da gucke ich schon oft zu und ich weiß wie das geht und dass der Mann, der das Kalb schlachtet, das alles allein aufessen darf und ich nichts davon abbekomme. Die anderen sind alle auf dem Feld und holen Kartoffeln aus der Erde.
Von der Oma bekomme ich keinen Ärger. Nur die Mutter ist böse, als die mich vor dem Schlafengehen umziehen will. Die Beine sind ganz schwarz und es kleben viele Ameisen dran. Draußen ist es schon stockdunkel, aber ich muss mit der Mutter wieder in den Hof. Sie tunkt einen Schwamm in die Schale mit dem Brunnenwasser und reibt mir das Blut und die Ameisen ab. Das Waschen tut weh und das Wasser ist sehr kalt. Ich bekomme Hausarrest. Aber zum ersten Mal höre ich so spät noch die Kühe. Die stehen im Stall und muhen ganz laut. Das hört sich an, wie wenn die Verwandten alle weinen, weil da einer tot ist. Weil der sich mit einem Gewehr ins Gesicht schießt und jetzt zum Friedhof getragen wird. Die ganze Nacht bin ich wach und höre das Geheule von den Kühen.
Am nächsten Tag machen die Kinder vom Nachbarhof unten am Weg im Gestrüpp ein Feuer. Ich will mir das angucken. Aber ich darf nicht vom Hof runter. Also bringt mir die Oma bei, wie ich an Eier komme.
Die Oma sagt: Es kann dir noch das ganze Leben retten, wenn du mal richtig Hunger hast und du kannst ein Ei stehlen. Wenn du das schaffst, drehen wir eine kleine Runde.
Ich sage: Und was ist mit der Mutter?
Die Oma sagt: Das behalten wir für uns.
Die Oma und ich gehen zusammen in die Scheune mit den Hühnern. Die sitzen da einfach nur rum und gucken uns ganz komisch an. Erst denke ich, dass die mich vielleicht picken, wenn ich denen ein Ei wegnehme. Aber die sind gar nicht böse zu mir. Ich greife dem Huhn unter den Bauch und nehme mir ein Ei und die anderen Eier lasse ich ja auch alle da. Ich halte der Oma das Ei hin.
Die Oma sagt: Omas Sohn.
Das Haus, in dem ich zur Welt komme, ist nicht viel größer als die Scheune mit den Hühnern. Es sieht aus, wie wenn es jeden Moment einstürzt. Es ist nicht aus Holz. Es ist aus Stein. Jeder Stein hat eine andere Größe und wird vor vielen Jahren von meinem Opa direkt hier vom Boden aufgesammelt. In die Zwischenräume von den großen Steinen spachtelt der ein Gemisch aus kleinen Steinen und Zement. In unserer Gemeinschaft bekommen wir solche Häuser besser hin. Wir nehmen nicht irgendwas vom Boden und haben immer gutes Material von den Spenden. Vorne hat das Haus zwei Holztüren, die du nur mit einem
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