Wie ich Rabbinerin wurde
versucht, mich einzubeziehen. Ich könne ihnen nicht vorwerfen, dass sie mich als Jüdin ausgrenzten. Meine jüdische Herkunft spiele für sie überhaupt keine Rolle. Wenn ich mich damit herausredete, »anders« zu sein, und mich deswegen ausschließe, erscheine ihnen dies inzwischen,als machte ich mir selbst etwas vor, als stähle ich mich aus einer Verantwortung, ohne dass ihnen die Gründe dafür ersichtlich wären. Weder würde ich als Jüdin anders leben noch andere Dinge tun noch anders sein.
Während sie reden, fühle ich mich unbeteiligt. Ich versuche zu erklären: Ich sei anders geprägt als sie. Doch meine Worte verirren sich in dem Graben zwischen uns. Sie verstehen nicht, was ich meine, wissen nichts darauf zu antworten. Ich habe keine Lust, konkreter zu werden und mich danach schlecht zu fühlen. Ich schlage vor auszuziehen. Es ist kein Abschied im Groll. Die beiden bieten mir großzügig viel Zeit an, eine neue Bleibe zu suchen. Später helfen sie mir beim Umzug in die winzige Dachwohnung, die ich im Stadtteil Altona gefunden habe.
Studiere ich das falsche Fach? Habe ich einen Fehler gemacht, nach Deutschland zurückzukehren? Ist Hamburg nicht die richtige Stadt für mich?
Warum habe ich so viel darangesetzt, wieder in Deutschland zu leben? Ich hätte es nicht gemusst. Es gab noch andere Möglichkeiten, aus Nimwegen, der katholischen Universitätsstadt in den Niederlanden, wegzugehen. Ich hätte auch nach Amsterdam ziehen können – eine Stadt, die viel mehr weltstädtisches Flair besitzt als jede deutsche Stadt. Ich hätte nach den zweieinhalb Jahren an der Universität in Nimwegen jetzt, da ich volljährig bin und nicht mehr in der Nähe meiner Eltern in Düsseldorf zu leben brauche, auch einen meiner alten Träume wahr machen können – in Paris studieren oder vielleicht sogar in New York!
Dass ich meinen Willen durchzusetzen verstehe, habe ich meinen Eltern bewiesen. Die halbjährige Lateinamerikareise unmittelbar nach der Zwischenprüfung versuchen sie noch zu verhindern: Trotzdem toure ich gemeinsam mit einer niederländischen Studienfreundin sechs Monate lang durch Süd- und Mittelamerika. Gegen meine Entscheidung, das Studium in Hamburg fortzusetzen, bringen Lilo und Konrad nur noch stillen Widerstand auf. Wäre es Paris gewesen, hätten sie mich unterstützt– weg von Deutschland, hin zu einem internationalen Leben.
Warum ausgerechnet Hamburg? Es gibt keinen Grund, hierhin zu ziehen. Ich kenne die Stadt nicht. Aber abgesehen von Düsseldorf, wo ich geboren bin, kenne ich auch keine andere deutsche Stadt. Es ist weder die Attraktivität der Universität noch sind es die Professoren des Instituts für Politische Wissenschaft, von denen ich unbedingt etwas lernen will, die mich nach Hamburg ziehen. Es sind lediglich ein paar Vorstellungen, die mich leiten, einen – letztlich beliebigen – Ort in Deutschland zu wählen, um wieder anzuknüpfen: Hamburg als eine Hafenstadt, das verbinde ich mit Weltoffenheit; Hamburg als eine verhältnismäßig liberale Stadt, das verbinde ich mit einer angelsächsischen Mentalität; Hamburg als eine schöne, gar elegante Stadt, ein wenig wie Paris. Das ist alles.
Dabei ist es gar nicht so einfach, in Hamburg anzukommen. Die Universitätsbehörde teilt mir während der Lateinamerikareise mit, dass sie meine Zeugnisse nicht anerkennt – weder meine Zwischenprüfung an der Universität Nimwegen noch mein englisches Abitur, das ich an einer internationalen Schule, einem Internat in den Niederlanden, gemacht habe. Ich stehe plötzlich ohne etwas da.
Meine Eltern sind darüber nicht unglücklich. Lilo besitzt in der Nähe von Nimwegen ein Haus, das sie von der Wiedergutmachung gekauft hat. Dort verbringt sie fast jedes Wochenende. Ich habe sie gebeten, während meiner Lateinamerikareise meine Studentenmöbel mit nach Düsseldorf zu bringen. Als ich zurückkomme, steht alles noch dort – meine Bücher, das Regal, der Schreibtisch, alles. Triumphierend zeigt mir Lilo den Brief der Universitätsbehörde, die meine Abschlüsse nicht anerkennt, redet nur von dem »Scheiß-Hamburg« und versteht nicht, warum ich da hinwill.
Ich kann selbst auch nicht sagen, was mich zu meiner Entscheidung veranlasst hat. Vielleicht die deutsche Sprache, die ich in den Niederlanden zunehmend verlerne und die ich brauchen werde, um mich ausdrücken zu können. Vielleicht die intellektuellenTiefgänge des »deutschen Geistes«, die ich in der pragmatischeren Mentalität der
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