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Wie ich Rabbinerin wurde

Wie ich Rabbinerin wurde

Titel: Wie ich Rabbinerin wurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisa Klapheck
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wo der Zettel hängt.
    Ein Jahr zuvor, als ich mein zukünftiges Domizil in Hamburg suche, träume ich selbst auch von einer WG, deren Bewohner sich mit ihren unterschiedlichen Interessen und unterschiedlichen Lebenswegen gegenseitig anregen. Der Hamburger Wohnungsmarkt bietet mir jedoch nicht meine Traum-WG.   Es herrscht Mangel an günstigen Unterkünften. Mit mir konkurrieren Tausende anderer Studenten, die ebenfalls die Anzeigen lesen und sich um die wenigen frei gewordenen Zimmer in den Wohngemeinschaften bewerben. In einer Wohnung im Hamburger Stadtteil Ottensen ist ein schönes, geräumiges Zimmer mit zwei großen Fenstern frei. Schon als ich es sehe, male ichmir aus, wie ich es einrichten würde. Der eine W G-Bewohner studiert Physik, der andere Englisch auf Lehramt. Beide sind aus Norddeutschland und zum Studium nach Hamburg gezogen. Ich gebe mich in dem Vorstellungsgespräch so kommunikativ und Anteil nehmend, wie ich mich in meiner Phantasie gerne sehe. Die beiden entscheiden sich für mich – und eine Weile glaube ich, mich in dieser WG durchaus wohlfühlen zu können.
    Doch schnell kapsele ich mich ab, schließe die Tür meines Zimmers, wenn meine Mitbewohner in der Küche kochen, bewege mich in meinem Zimmer nur ganz leise, um ihre Aufmerksamkeit nicht auf mich zu ziehen, und gebe Ausreden an, wenn sie abends ins Kino gehen und mich fragen, ob ich mitkommen wolle.
    Als sie mir sagen, wie enttäuscht sie sind, fragen sie mich auch, warum ich mich von ihnen abwende. Unvermittelt kommt es mir über die Lippen: Ich fühle mich »als Jüdin« von ihnen unverstanden.
    Nicht nur von ihnen. Insgesamt fühle ich mich alleine. Ich habe nicht damit gerechnet, dass mich meine Rückkehr nach Deutschland zunächst in die Depression führen würde. Täglich sitze ich unglücklich gestimmt im Vorlesungssaal oder Seminarraum – finde weder einen Bezug zu der Art, wie die Themen des Studiums der Politologie behandelt werden, noch zu den Studenten, die um mich herumsitzen. Ich kann meinen Kommilitonen weiß Gott nicht vorwerfen, allesamt Nazis zu sein oder aus der Geschichte nichts gelernt zu haben. Es ist eine sehr regierungskritische Zeit. In der Folge des Nato-Doppelbeschlusses fahren unzählige Studenten aus Hamburg zu den großen Demonstrationen nach Bonn und andernorts, etwa nach Gorleben, wo sie gegen den Bau des Atommüll-Endlagers protestieren. Viele von ihnen, so empfinde ich, haben sehr viel mehr Mut als ich, trotzen der Staatsmacht, lassen sich auf den Demos von der Polizei zusammenschlagen und nehmen in Kauf, mehrere Tage in Haft zu verbringen. Helmut Kohl ist noch nicht lange neuer Bundeskanzler. Im Eingangsbereich derMensa hängt ein Plakat mit seiner Karikatur als »Birne«. Gegenüber den anderen Studenten, die in den Seminaren des Institutes für Politische Wissenschaft der Uni Hamburg die Regierungspolitik gnadenlos niedertheoretisieren, nehme ich mich naiv und brav aus. Zwar denke ich überhaupt nicht regierungskonform, doch bringe ich, wenn überhaupt, nur eine bemühte Mitempörung auf. Auch die beiden Studenten in der WG denken politisch links, betonen immer wieder, wie wichtig es sei, »Widerstand zu leisten«, und grenzen sich dabei – ausgesprochen und unausgesprochen, in jedem Fall aber deutlich – auch vom Versagen der Deutschen gegenüber dem N S-Regime ab.
    Der eine stammt aus einem norddeutschen Dorf, in dem seine Eltern einen Bauernhof betreiben. Er ist noch mit Plattdeutsch aufgewachsen und studiert als Erster seiner Familie an einer Universität. Der andere hat schon vor seinem Studium eine Berufsausbildung gemacht, mehrere Jahre gearbeitet und sich dabei in der Gewerkschaft engagiert. Über den zweiten Bildungsweg hat er das Abitur nachgeholt und kann jetzt studieren. Mich beeindrucken solche Aufbrüche aus sozialen Lebenswelten, die anders sind als die, die ich kenne. Grundsätzlich verkörpern sie eine Aussage, die meiner eigenen Anschauung entspricht: Emanzipation durch Bildung – gleiche Chancen für alle.
    Aber jetzt, da das Stichwort »Jüdin« gefallen ist, klafft plötzlich ein Graben zwischen ihnen und mir, der bis zu diesem Augenblick noch nie so unüberbrückbar deutlich für mich zu spüren gewesen ist.
    Die beiden Studenten haben ihn offensichtlich schon länger empfunden. Einer von ihnen entgegnet aufgebracht, dass er das nicht gelten lassen könne. Wenn ich mich als »Jüdin« bezeichne, komme es ihm wie ein Vorwand vor. Beide hätten sich um mich bemüht und

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