Wie ich Rabbinerin wurde
ich. Wieder in die Niederlande ziehen? Es sprach durchaus viel dagegen. Emotional lag die Zeit im Internat und an der Universität Nimwegen lange hinter mir. Wenn ich es recht betrachtete, hatte sich das Land seitdem nicht zum Besseren entwickelt. Der neue Rechtspopulismus, zuerst von Pim Fortuyn, dann von Geert Wilders, eine starke Islam-Feindlichkeit und ein intellektuelles Klima, das von immer schärferen, neokonservativen und neoliberalen Tönen beherrscht wurde, bestätigten mir, dass die Saat, die ich bereits unter den Jugendlichen im Internat wahrgenommen hatte, inzwischen aufgegangen war.
Dafür Berlin verlassen?
Ich konnte meinen inneren Widerständen kaum Gehör geben, als mich bereits der Vorstand von
Beit Ha’Chidush
kontaktierte und drängte, mich zu bewerben. So fuhr ich im November 2004 nach Amsterdam und hielt dort in einer entzückenden Synagoge aus dem 17. Jahrhundert, die
Beit Ha’Chidush
in der Nähe des Waterlooplein mietete, meine erste jüdische Predigt in Niederländisch.
Ich bekam die Stelle.
Erst im Nachhinein erfuhr ich, dass ich Konkurrenten hatte – Rabbiner aus Israel und den USA. Doch einer meiner Vorteile sei gewesen, dass ich Niederländisch sprach – damals zwar noch ein stark eingerostetes Niederländisch, das ich erst wieder aus der hintersten Rumpelkammer hervorholen musste, aber doch die Sprache des Landes, in das meine Großeltern 1933 emigriert waren und in dem meine Mutter geboren wurde. Meine zweite Muttersprache – im echten Sinne des Wortes. EinNiederländisch, aus dem die authentische Erfahrung sprach, in einem Europa nach der Schoa aufgewachsen zu sein und die emotionale Situation der Juden meiner Generation zu kennen. Wer hätte gedacht, dass sich meine niederländischen Sprachkenntnisse noch einmal als Vorteil erweisen würden! Und doch hätte es keine symbolischere Fügung geben können. Ausgerechnet in diesem Land wurde ich im Mai 2005 von den Medien begeistert als die erste Rabbinerin in der niederländisch-jüdischen Geschichte gefeiert. Ich erhielt damit auch die Chance, mich mit meiner Kindheit in den Niederlanden auszusöhnen, was für meinen weiteren Weg dringend nötig war. Das Land, das mittlerweile so viel weniger sympathisch erschien als vor Jahren, als man es wegen seiner Toleranz und Demokratie bewunderte, das Land, das eine Identitätskrise gefangen hielt und das »Feinde« wie den Islam brauchte, um sich selbst noch als »niederländisch« wahrzunehmen, dieses Land ließ mich offenbar nicht einfach so gehen. Meine niederländische Vergangenheit holte mich ein. Dafür gab ich Berlin auf und zog nach Amsterdam. Das hieß – ich bewegte mich fortan in zwei Städten: Amsterdam und Frankfurt, wohin ich monatlich von Amsterdam aus fuhr.
In den Jahren nach meiner Ordination wurde ich immer wieder gefragt, ob mich das rabbinische Establishment – das orthodoxe Rabbinat und etabliertere liberale Rabbiner – »anerkenne«. Anfangs war es in der Tat für mich sowohl in Deutschland als auch den Niederlanden schwierig. In beiden Ländern erfuhr ich die Reserviertheit meiner Kollegen. Doch auch wenn ich deswegen unangenehme Momente erlebte, war die Frage meiner rabbinischen Anerkennung für mich selbst nicht wirklich entscheidend. Ohnehin löste sich der Widerstand gegen mich mit der Zeit auf. Schon im Jahre 2006 wurde ich von der
Rabbinic Conference
von
Liberal Judaism
in London aufgenommen und bin seitdem mit dem dortigen
Bet Din
(Rabbinatsgericht) verbunden. Für die Positionierung von
Beit Ha’Chidush
war das ein wichtiger Schritt. Die Gemeinde hatte nunmehr eine von mirrepräsentierte starke Organisation im Rücken, deren
Bet Din
auch Übertritte ins Judentum ermöglichte. Trotz ihrer kleinen Mitgliederzahl war
Beit Ha’Chidush
damit den größeren Gemeinden in den Niederlanden gegenüber ebenbürtig geworden. Mit der konservativeren liberaljüdischen Gemeinde in Amsterdam konnte überdies Ende 2008 ein Kooperationsvertrag abgeschlossen werden, durch den ich wiederum im niederländischen Rabbinat anerkannt war. In der Zwischenzeit wurde ich aber auch von der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK) in Deutschland aufgenommen.
Zugleich genoss ich als Rabbinerin, die sich von vornherein als »irgendwie anders« aufstellt, die einerseits in der Tradition steht und andrerseits mit den Mitteln der Tradition neue Wege einschlägt, das Privileg besonderer Chancen. In Amsterdam war das beispielsweise die Herausgabe eines neuen
Sidurs
– eines
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