Wie ich Rabbinerin wurde
zu setzen, wobei ich hoffte, dass mir die jüdische Tradition hierzu besondere geistige Zugänge ermöglichte. Monat um Monat diskutierten wir überPassagen im
Talmud
und den
Midraschim
in der Verbindung mit moderner Philosophie, politischer Theorie, Wirtschaftsethik und anderen geistigen Traditionen, die die Gegenwart bestimmen. Beim Schreiben dieser Zeilen lese ich noch einmal die einstigen Ankündigungen:
Tempel oder Lehrhaus / Jerusalem oder Jawne?
Welche neuen Zeichen setzt der Talmud für die Zukunft der jüdischen Geschichte? Welche positive Diaspora-Identität bietet er?
Was haben Juden vom Messias zu erwarten?
Wir lesen eine kritische Auseinandersetzung mit dem Konzept des Messias im babylonischen Talmud.
Wir und die Anderen
Die für die Menschheit geltenden »noachidischen Gesetze« im Talmud
Theokratie und Demokratie im Talmud
Die »kommende Welt« als politischer Begriff
Auserwählung und die gesellschaftlichen Konsequenzen
Viele dieser
Schiurim
wurden mir zu Momenten von großer Inspiration. Es lag an der geistigen Aufgeschlossenheit – einem unbefangenen Enthusiasmus, den sich der
Egalitäre Minjan
bewahrt hat und der heute weit über die Grenzen Frankfurts hinaus Juden am Schabbat anzieht.
Aber noch eine andere Weiche enthielt das von vornherein in meinem Leben wiederkehrende Gefühl einer Bestimmung, dem ich letztlich immer gefolgt bin. Eine Bekannte machte mich Ende 2004 auf eine neu entstehende jüdische Gemeinde in Amsterdam aufmerksam. Diese trug den Anspruch der »Erneuerung« bereits in ihrem Namen. Die Gemeinde hieß
Beit Ha’Chidush
, auf Deutsch: »Haus der Erneuerung«. Ich kannte einige ihrer Mitglieder, vor allem unter den Frauen, von denen manche die Tagungen von
Bet Debora
in Berlin besucht hatten. Als informelle Gruppe war
Beit Ha’Chidush
ungefähr zur selben Zeit entstanden wie die meisten der liberalen Aufbrüche in Europa um die Mitte der 1990er Jahre. Ich erfuhr von der Bekannten,dass
Beit Ha’Chidush
inzwischen eine eigenständige jüdische Gemeinde geworden sei und einen Rabbiner suche – gern auch eine Rabbinerin – gern auch eine, die für Erneuerung stehe.
Gewünscht war jemand, der oder die flexibler mit der
Halacha
, den jüdischen Religionsgesetzen umgehen würde, beispielsweise Kinder jüdischer Väter gleichberechtigt als Juden anerkenne, wie dies im amerikanischen Reformjudentum üblich war, und sogar noch einen Schritt weiter auf Menschen mit einem »jüdischen Schicksal« zugehe: beispielsweise Menschen, die jüdische Vorfahren haben, die in der Schoa ermordet wurden oder das Judentum als Religion verlassen hatten, wobei die jüdische Herkunft als emotionale Bindung in den Nachfahren fortwirkte.
Beit Ha’Chidush
wusste um die Wunden vieler, die durch die halachische Definition, wer Jude sei, oftmals sehr verletzend von den jüdischen Gemeinden ausgegrenzt worden waren.
Neben solchen formellen Aspekten jüdischer Erneuerung spielte die Frage ritueller Erneuerung eine ebenso wichtige Rolle. Die Gemeinde wünschte sich eine Weiterentwicklung von Ritualen, die nicht mehr nur auf die althergebrachten Ideale zugeschnitten waren, sondern sich auf die volle Lebenswirklichkeit der Juden im 21. Jahrhundert bezogen. Das markanteste Beispiel hiervon war die Homo-Ehe, ein Reizthema, das zugleich auch für das Selbstverständnis der Niederlande wichtig ist. Gerade zu diesem Thema hatte ich mich gleich nach meiner Ordination positiv geäußert, indem ich die erste Homo-Beziehung in der jüdischen Geschichte in Deutschland mit einem
Brit Ahuwim
– einem »Bund der Liebenden« – gesegnet hatte. Ich machte dabei deutlich, dass es um das Kriterium der »Heiligkeit« gehe. Eine um Heiligkeit bewusste Liebesbeziehung sei ich als Rabbinerin bereit zu segnen – egal welches Geschlecht die Partner haben. Unheilige Beziehungen der Ausnutzung, Lieblosigkeit oder auch der Unterdrückung und des Zwangs lehnte ich hingegen ab, selbst wenn die Partner hetero und jüdisch sind.
Beit Ha’Chidush
wurde unterstützt von der niederländischen Stiftung
Maror
(benannt nach dem Bitterkraut, das am
Seder -
Abend gegessen wird). Diese war aus dem Geld der Konten ehemaliger jüdischer Eigentümer entstanden, die in der
Schoa
umgekommen waren. Mit dem Geld wurden Projekte zur Erneuerung des jüdischen Lebens in den Niederlanden finanziert, darunter auch die Stelle einer Rabbinerin für
Beit Ha’Chidush
.
Die Stelle schien irgendwie wie für mich geschaffen.
Trotzdem zögerte
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