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Wie ich Rabbinerin wurde

Wie ich Rabbinerin wurde

Titel: Wie ich Rabbinerin wurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisa Klapheck
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Wochenfest
Schawuot
zu feiern und eine dazugehörige »Lernnacht« zu leiten. Ich hielt liberale
Schiurim
(gemeinsames jüdisches Lernen) in der Duisburger Synagoge anlässlich einer »jüdischen Buchmesse«, ebenso im Jüdischen Lehrhaus in Göttingen, wo ich am 9.   November auch bei der zentralen Gedenkveranstaltung amtierte, sowie in der liberalen Gemeinde
Gescher
in Freiburg. Innerhalb kurzer Zeit hatte ich eine ganz Liste von Städten, in denen ich als freiberufliche Rabbinerin gefragt war. In Bayern hatten der Historiker Michael Brenner und die Germanistin Rachel Salamander bereits eine alle ein bis zwei Jahre inSchloss Elmau stattfindende jüdische Kulturtagung
Tarbut
ins Leben gerufen. Noch im Jahr meiner Ordination wurde ich eingeladen, dort in Anwesenheit wichtiger Vertreter des
Zentralrats der Juden in Deutschland
, unter ihnen der inzwischen verstorbene Präsident Paul Spiegel, liberale Gottesdienste zu leiten. Nicht zu vergessen die rabbinischen Kommentare, die ich für verschiedene Schabbat-Sendungen der öffentlich-rechtlichen Radiosender verfasste, und die zahlreichen Einladungen zu den Foren des christlich-jüdischen Dialogs. All dies ermöglichte mir von Anfang an eine Existenz als Rabbinerin, auch wenn das jüdische Leben noch nicht so weit war, sich von mir in einer festen Anstellung repräsentieren zu lassen.
     
    Ohne dass ich es damals ahnen konnte, hatten sich jedoch für mich schon im Herbst 2004 die Weichen in Richtung Frankfurt am Main gestellt.
    Frankfurt   – Bürgerstadt, Stadt der Banken, Stadt der Zeitungen, alljährliche Veranstalterin der Buchmesse – ein Ort von Geld und Geist. Hier hatte sich 1994 in Deutschland die erste jüdische Gruppierung gebildet, die das Thema »Erneuerung« auf ihre Fahne schrieb. Ein Produkt dieser Entwicklung war ich. Zehn Jahre nach seiner Gründung lud mich der
Egalitäre Minjan
in der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main – so nannte sich die Gruppe inzwischen – zu seinem Jubiläum ein.
    Die Stadt Frankfurt hatte schon immer eine besondere Rolle in der jüdischen Geschichte Deutschlands gespielt. In den 1920er Jahren gründete Franz Rosenzweig hier das wegweisende Jüdische Lehrhaus. Sein Mentor, der charismatische Rabbiner Nehemia Nobel, hatte eine ganze Generation jüdischer Intellektueller – nicht zuletzt der Frankfurter Schule – geprägt. Ein halbes Jahrhundert zuvor, ab den 1850er Jahren, hatte Rabbiner Samson Raphael Hirsch von hier aus eine moderne Orthodoxie im Einklang mit säkularem Denken betrieben. Und hier empfing mich im Jahre 2004 eine Gruppe von liberal eingestellten Mitgliedern der jüdischen Gemeinde, deren Religiositätsich weit stärker, als ich es von anderen Städten her kannte, mit politischer Intellektualität verband. Ihr Interesse lag von vornherein an kreativen Schnittstellen der jüdischen Tradition mit den religionsphilosophischen, wirtschaftsdemokratischen, kulturpolitischen und multikulturellen Kräften der Gegenwart. Dies korrespondierte zugleich mit einer größeren Weitsicht und Offenheit der Frankfurter Jüdischen Gemeinde insgesamt. Anders als in vielen anderen Einheitsgemeinden hatte sich hier der einstige Vorsitzende Ignatz Bubis dafür eingesetzt, dass sich der
Egalitäre Minjan
in seinen Anfängen nicht abspaltete und eine eigene Gemeinde gründete. Vielmehr wurde er von der Gemeinde finanziell und räumlich ausgestattet, bekam im Laufe der Zeit eine eigene Synagoge, die sich im großen Gebäude der Frankfurter Westendsynagoge befindet, und schließlich auch das Budget für eine Rabbinerin. So ist in Frankfurt eine einzigartige Situation entstanden, die heute – nicht zuletzt im
Zentralrat der Juden in Deutschland
– als das »Frankfurter Modell« gepriesen wird: alle religiösen Ausrichtungen gedeihen unter dem einen Dach der Einheitsgemeinde. Am Schabbat beten liberale Juden in ihrer eigenen Synagoge, aber im selben Gebäude mit den anderen orthodoxen Ausrichtungen, die ebenfalls jeweils ihren eigenen Saal haben.
    Die Zusammensetzung der Mitglieder mit ihren verschiedenen Herkünften machte den
Egalitären Minjan
von vornherein zu etwas Besonderem. Sie stammen aus höchst unterschiedlichen Regionen der Welt: neben Deutschland und anderen Herkunftsländern der nach der
Schoa
hier gebliebenen Juden – vor allem Polen – kommen sie aus der ehemaligen Sowjetunion sowie aus Mitteleuropa, aber auch aus Israel, den USA, Südafrika und sogar aus Argentinien, Uruguay und Eritrea. Viele von ihnen haben

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