Wie keiner sonst / ebook (German Edition)
hinterher.
Wir folgen dem Professor durch einen langen Gang, die Nachmittagssonne scheint durch die Fenster, und ich sehe jedes Staubkorn in der Luft.
Der Professor ist schlecht zu Fuß und außer Atem.
»Was ist nur geschehen?«, stöhnt er. »Die Leute lästern lieber, anstatt zu forschen. Wie ein Kaffeeklatsch. Ich weiß wirklich nicht, was geschehen ist, und ich will es auch nicht wissen.«
Der Lärm der Veranstaltung verschwindet hinter uns. Der Professor öffnet eine Tür, und wir gehen in ein kleines Büro. An allen Wänden stehen Regale, unter einem hohen Fenster steht ein alter Schreibtisch, über und über von Papierstapeln und Büchern bedeckt. Der Professor zieht den Bürostuhl hervor, er ist aus braunem Leder und völlig zerschlissen. Er klopft auf die Lehne.
»Hier solltest du sitzen«, sagt er. »Hier solltest du jetzt sitzen.«
Mein Vater antwortet nicht, und der Professor wühlt auf dem Schreibtisch herum. Er verschiebt Bücher und stellt sie auf den Stuhl. Ein Schlüsselbund kommt zum Vorschein, der Professor gibt ihn meinem Vater.
»Von heute an brauche ich ihn nicht mehr.«
Wir folgen dem Professor aus dem Büro heraus und durch lange Gänge. Dann bleibt er stehen, stützt sich an die Wand und ringt nach Luft.
»Ich kann nicht mehr. Du kennst ja den Weg.«
Mein Vater umarmt ihn. Der Professor hat feuchte Augen und küsst ihn auf die Wange.
Dann werde ich wieder davongezogen. Ich stolpere und falle fast hin, meine Schnürsenkel schleifen lose über den Boden.
Auf der nächsten Treppe hebt mein Vater mich hoch und schultert mich wie einen Sack.
Wir gehen durch ein kleines Zimmer voller Bücher und Staub, dann durch einen großen Raum mit einer Tafel und vielen Bänken, durch eine Besenkammer und eine gekachelte Küche mit Stahlwaschbecken. Mein Vater benutzt einen Schlüssel nach dem anderen, bis wir auf einen Hinterhof kommen.
Mein Vater schaut zu den kleinen Fenstern hinauf, die wie Augen aussehen. Dann zieht er mir die Mütze über die Ohren, und wir gehen zum Tor hinaus. Wir gehen so schnell wie möglich, ohne zu laufen, mein Vater schaut über die Schulter. »Vor den Weißen Männern muss man immer auf der Hut sein«, sagt er.
Als ich am selben Abend im Bett liege, frage ich meinen Vater, wie man die Weißen Männer erkenne.
Er hat mir oft von ihnen erzählt, ich weiß, dass es die Gehilfen der Königin sind, und dass sie immer den König und den Prinzen fangen wollen.
»Das ist schwierig«, sagt er. »Man muss auf die kleinen Dinge achten. Zum Beispiel auf ihren Blick. Meistens sehen sie wie ganz normale Menschen aus. Nur manchmal verwandeln sie sich. Nur wenn sie glauben, dass sie mit ihrem Opfer allein sind. Dann bekommen sie Adler-, Löwen- oder Wolfsköpfe. Dann beißen und kratzen sie.« Ich frage meinen Vater, ob die Weißen Männer böse seien, bin fast sicher, was er antworten wird. Aber er schüttelt den Kopf. »Sie tun nur, was die Weiße Königin ihnen befiehlt. Sie können nicht zwischen Gut und Böse unterscheiden.«
In dieser Nacht liege ich wach, denke an die Weißen Männer und hoffe, dass ich sie erkennen werde.
I ch zeichne einen Drachen. Zuerst übe ich auf dem Block, dann zeichne ich ihn auf ein Stück Pappe, das wir aus einer Kiste vom Supermarkt ausgeschnitten haben. Der Drache hat Schlangenaugen, die Brauen zeigen nach unten wie ein V, er ist wütend. Die Zunge ist gespalten, und die Zähne sind sehr scharf.
Ich male den Hals aus. Grün und Blau. Der Drache soll aussehen, als würde er in einem See oder einem Moor wohnen. Er ist gerade aus dem Wasser gestiegen, weil er Hunger hat und Beute riecht.
Seit ich aufgestanden bin, habe ich an dem Drachen gearbeitet. Ich habe keinen Ton von draußen gehört, nicht einmal das Ticken der Uhr im Zimmer. Habe nur daran gedacht, den Drachen so gefährlich wie möglich zu machen. Aber er ist ganz ausdruckslos geworden. Der Kopf ist größer als der Körper. Die Klauen sehen klein und lächerlich aus. Die Sonne steht hoch am Himmel, und ich weiß, dass der Junge im Hof auf mich wartet. Ich will ihn nicht wiedersehen, das habe ich beschlossen. Ich male den Schwanz des Drachens aus. Vielleicht füttert der Junge gerade die Ratten mit Käse. Ich nehme den dunkelgrünen Stift, will Schuppen auf den Körper des Drachen zeichnen. Der Stift bleibt auf dem Papier stehen.
Der Junge grinst, als ich durch die Tür trete. Er sieht aus, als hätte er die ganze Zeit gewusst, dass ich kommen würde.
»Heute sollst du Schmiere
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