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Wie keiner sonst / ebook (German Edition)

Wie keiner sonst / ebook (German Edition)

Titel: Wie keiner sonst / ebook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas T. Bengtsson
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zwischen zwei anderen Gebäuden eingeklemmt. Als hätte man so dicht an sie herangebaut, dass sie gerade noch stehen blieb. Aus der geöffneten Tür dringt warmes, goldenes Licht.
    Drinnen lächeln die Menschen, machen einander Platz, reden leise. Die Männer halten Mäntel über den Armen. Die Frauen tragen Stiefel mit hohen Absätzen.
    Wir setzen uns auf eine der Holzbänke, hinter uns füllt sich der Raum. Ich wünschte, ich wäre daheim noch einmal aufs Klo gegangen. Wir haben das Popcorn vergessen, flüstert mein Vater.
    Ich schaue mich in der Kirche um, präge mir alles ein, vielleicht wird mein Vater mich später danach fragen. Die großen Kerzenhalter und die mit Schnitzereien verzierte Kanzel. Jesus am Kreuz, er hängt ganz hinten, mager, mit Nägeln in Händen und Füßen. Er blutet, aber sein Blick ist friedvoll.
    Dann tritt der Pfarrer vor, und die Gespräche verstummen. Alle stehen auf, der Pfarrer lächelt, offenbar freut er sich, uns zu sehen. Er hebt die Arme, und wir setzen uns.
    Die Orgel spielt, und mein Vater zeigt auf eine Tafel an der Wand. Dort stehen die Nummern der Kirchenlieder. Ehe ich die richtigen Seiten im Gesangbuch gefunden habe, fangen alle an zu singen. Ich versuche mitzumachen, öffne und schließe den Mund wie die anderen.
    Mein Vater blickt während des Liedes zu dem Pfarrer auf, seine Augen glänzen.
    Als die letzten Töne der Orgel verklungen sind, steigt der Pfarrer auf die Kanzel. Ein Stück dunkelblauer Stoff kommt zum Vorschein, bestimmt trägt er Jeans unter dem Talar. Er überfliegt sein Konzept, ordnet die Blätter. Dann lässt er den Blick über die Gemeinde schweifen, als wolle er allen in die Augen sehen, bevor er beginnt. Er fährt sich mit Daumen und Zeigefinger über die Lippen.
    »Wir kaufen alle zu viel«, sagt er. »Viel zu viel.« Wieder blickt er sich um. »Findet ihr das nicht auch?«
    Keiner antwortet, er nickt und lächelt, freut sich noch immer, uns zu sehen.
    »Das betrifft auch mich. Pfarrer sind keine Heiligen. Nicht mehr – dem Herrn seis gedankt.« Ich höre unterdrückte Lacher, will gern mitlachen, aber es ist zu spät. Ich wusste nicht, dass man in der Kirche lachen darf.
    Der Tonfall des Pfarrers wird ernst, nun redet er über die Armen.
    »Die, die nichts haben«, sagt er. »Wir haben vergessen, was Armut bedeutet. Echte Armut. Ich meine die Menschen, an die man nicht denkt, wenn man vor der Kühltheke steht und nach der letzten Ente sucht.«
    Mein Vater beugt sich zu mir, flüstert mir ins Ohr.
    »Sieh dich nur um. Glaube und Tradition sind zwei verschiedene Dinge.«
    Der Pfarrer liest aus dem Matthäus-Evangelium. Redet von Brot und Fisch, mahnt zum Teilen.
    »Die Menschen haben Gott mit Jesus verwechselt«, flüstert mein Vater. »Sie mögen Jesus, weil er weint.«
    Ein älterer Mann dreht sich zu uns um und hält den Finger vor den Mund.
    »Sie beten den Sohn an, als gäbe es nichts anderes«, sagt mein Vater, diesmal lauter. »Sie vergessen, dass der Vater ein rachsüchtiger Gott ist. Ein eifersüchtiger und grausamer Gott. Sie vergessen, was mit Hiobs Töchtern geschah, und mit allen, die nicht mit auf die Arche gekommen waren.«
    Immer mehr Leute drehen sich zu uns um.
    »An deren Stelle würde ich hier drinnen eine Rettungsweste tragen«, sagt mein Vater. Sein Lachen schallt durch die Kirche.
    Der Pfarrer hält ein und blickt sich um, will wissen, wer ihm dauernd ins Wort fällt. Ich habe Angst, dass er uns anschreien oder hinauswerfen wird. Mein Vater sieht ihn an, und einen Augenblick scheint es, als würde der Pfarrer ihn wiedererkennen. Dann senkt er den Blick schnell wieder auf seine Papiere. Der Pfarrer lächelt noch immer, aber seine Stimme klingt nicht mehr so sicher, als er erzählt, wie sieben Brote tausend Menschen satt machten.
    Mein Vater lehnt sich zurück, faltet die Hände vor dem Bauch und lässt den Pfarrer zu Ende predigen. Die Leute wirken erleichtert, starren uns nicht mehr an.
    Der Pfarrer packt seine Zettel zusammen. Die Orgel spielt, während er von der Kanzel steigt. Er stellt sich vor die Gemeinde. »Lasset uns beten«, sagt er und faltet die Hände.
    »Wir gehen«, sagt mein Vater. »Gott ist nicht hier.«
    Die Leute müssen aufstehen, damit wir vorbeikommen, eine alte Dame fragt, ob der Gottesdienst schon zu Ende sei. Der Pfarrer betet stockend weiter, als wir durch den Mittelgang gehen. »Erlöse uns von dem Bösen« sind die letzten Worte, die ich höre. Dann fällt die Tür hinter uns ins Schloss.
    Draußen

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