Wie keiner sonst / ebook (German Edition)
würde es viel früher entdecken.
Zuerst habe ich Angst, dass er mich anschreien wird, wie neulich bei dem Auto, das mich beinahe überfahren hätte.
Mein Vater blinzelt, dann lacht er, bis er Tränen in den Augen hat. Er schiebt die Asche und die Kippen mit der Hand in den Aschenbecher. Selbst als die Brandflecken auf der Tischplatte zum Vorschein kommen, hört er nicht auf zu lachen.
»Hast du noch dein weißes Hemd?«, fragt er dann, und ich weiß, dass er etwas in der Zeitung gesehen hat, vielleicht in einem der Kästchen auf den letzten Seiten. Ich schüttle den Kopf, das Hemd ist seit ein paar Umzügen verschwunden.
M ein Vater zieht mir die Mütze über die Ohren. Es ist ein kalter Herbsttag, und er pfeift, als wir die Straße entlanggehen. Ich weiß, dass er den Frühling und den Herbst liebt, Anfänge und Enden, wie er sagt. Alles andere liegt nur dazwischen.
Mein Vater hält mir die schwere Tür auf, und ich folge ihm durch eine dunkel getäfelte Halle und eine Treppe hinauf. Junge Menschen mit Büchern unter den Armen kommen uns entgegen, wir gehen weiter bis zu einer anderen Tür. Dahinter höre ich viele Stimmen, die laut durcheinanderreden. Mein Vater nimmt mir die Mütze ab und glättet meine Haare. Er legt die Hand auf die Türklinke, zögert einen Augenblick und öffnet die Tür zu einem Saal voller Menschen. Wir sind die Einzigen, die keine Festkleidung tragen.
Ich halte mich fest an seiner Hand, habe Angst, in der Masse zu verschwinden. Er führt mich zwischen Menschen hindurch, die Wein aus hohen Gläsern trinken, laut reden und laut lachen. Ständig stoße ich gegen jemanden.
Dann stehen wir vor dem Büfett, und mein Vater lässt meine Hand los.
»Iss dich satt«, sagt er. »Ich komme gleich wieder.«
Er verschwindet hinter Hosenbeinen und Rücken.
Auf großen Silbertabletts liegt das Essen, alles ist mit Zahnstochern aufgespießt.
Zaghaft nehme ich ein Stück, bin ganz sicher, dass einer »He, was zum Teufel machst du da?« schreien wird. Aber keiner achtet auf mich, alles unter Brusthöhe ist unsichtbar für sie. Ich fange an einem Ende an. Das meiste schmeckt scheußlich, und ich werfe die Stücke unter den Tisch, wo mein Hund sitzt. Wenn die Leute nicht so laut reden würden, könnte man ihn schmatzen hören.
Den stinkenden Käse lasse ich stehen, aber ich esse viele Trauben. Schließlich lande ich an dem Tablett mit Eiersalat auf winzigen Toastbrotstücken. Ich beginne am Rand und fresse mich langsam zur Mitte des Tabletts durch.
»Du bist groß geworden«, sagt plötzlich eine Stimme dicht an meinem Ohr, und mein Magen verkrampft. Ich drehe mich um und schaue in zwei dunkelbraune Augen, eine Frau ist neben mir in die Hocke gegangen.
»Wenn du den ganzen Eiersalat aufgegessen hast, sollten wir deinen Vater suchen, finde ich.« Sie nimmt meine Hand, und ich gehe mit ihr.
»Unser alter Professor wird heute verabschiedet, aber das hat dir dein Vater sicher erzählt«, sagt die Frau über die Schulter. Sie führt mich durch das Labyrinth aus Beinen und Rücken.
Mein Vater steht zwischen zwei anderen Männern, der eine hat weiße Haare und einen Bart bis zum Schlipsknoten, ich bin fast sicher, dass es der Professor ist.
»Oh, du hast Nana getroffen«, sagt mein Vater und lächelt.
Der Professor gibt mir die Hand, sie fühlt sich an wie Backpapier.
»Als ich dich zuletzt gesehen habe, warst du nicht viel größer als ein halber Liter Milch«, sagt er und redet weiter mit meinem Vater. Die Frau, die Nana heißt, will Wein holen, sie fragt, ob ich eine Limonade möge, ich nicke.
Der Professor und mein Vater benutzen Wörter, die ich nie gehört habe, aber es ist klar, dass er ihn nicht bittet, eine Heizung zu reparieren oder einen Zaun zu streichen. Mein Vater ist froh, wirklich froh, also bin ich es auch. Selbst in seiner Jeansjacke passt er besser hierher als irgendwohin anders. Als Nana zurückkommt, hat sie weder Wein noch Limonade dabei. Sie lehnt sich zu meinem Vater, als wolle sie ihm in den Nacken pusten. Ich höre nur ein einziges Wort, das aus hundert anderen hervorsticht, die gleichzeitig durch die Luft schwirren: Polizei . Sie lächelt nicht mehr. Mein Vater leert sein Glas und stellt es ab. »Kommt mit«, sagt der Professor. »Schnell.«
Ich kann meinen Vater nicht mehr sehen, nur den Arm, der mich davonzieht. Ich stoße gegen Menschen, sie drehen sich um, aber wir sind schon weiter. Nana hält uns die Tür auf, sie schickt meinem Vater einen Fingerkuss
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