Wie keiner sonst / ebook (German Edition)
von der Eingangstreppe über den Rasen bis zu den ersten Apfel- und Birnbäumen. Dort steht mein Vater mit einem Rucksack auf den Schultern und wartet auf uns. Heute Morgen hat er ihn mit Saftflaschen und Brötchen gefüllt, die die alte Dame gebacken hat. »Proviant«, hat er gesagt, »wir werden ihn brauchen.«
Mein Vater biegt die Äste zur Seite und zeigt uns den Anfang des Weges, an dem er den ganzen Sommer gearbeitet hat.
Die alte Dame nimmt wieder meinen Arm, und wir gehen zwischen den Bäumen hindurch. Der Weg ist schmal und windet sich zwischen Büschen mit weißen, gelben und roten Blüten. Die Erde unter unseren Füßen ist grob und klumpig. »Mein Garten«, sagt die alte Dame.
Wir kommen zu einer Holzbank, die mein Vater von Zweigen und Schlingpflanzen befreit hat. »Möchten Sie sich ein wenig ausruhen?«, fragt er.
»Noch nicht.« Sie fährt mit dem Zeigefinger über die Rückenlehne, auf der Suche nach eingeritzten Buchstaben. Sie sind fast verschwunden und unleserlich, aber die alte Dame lächelt. Dann geht sie weiter, sie braucht meinen Arm nicht mehr und schreitet rasch voran. Ab und zu bleibt sie stehen und betrachtet genüsslich eine Pflanze, einen Busch oder wilde Blumen, die um einen Baumstamm ranken.
Ein verrostetes Kinderfahrrad hängt über uns in der Luft, angehoben von den Ästen, die es umschlingen.
»Ach, da ist es geblieben!«, lacht die alte Dame.
»Ich habe es nicht übers Herz gebracht, es runterzuschneiden«, sagt mein Vater.
Wir kommen zu einer Lichtung. Ich weiß nicht, wie lange wir gegangen sind, eine Stunde, vielleicht mehr. Mein Vater zieht eine Decke aus dem Rucksack und breitet sie über einen Baumstumpf, hier kann die alte Dame sitzen. Mein Vater und ich hocken uns auf den weichen Waldboden. Er holt den Saft und die Brötchen hervor, sie sind mit Presswurst und kräftigem Käse belegt. Beim ersten Bissen merke ich, wie hungrig ich bin.
Die alte Dame knabbert an ihrem Brötchen und trinkt den Saft in kleinen Schlucken. Ich pinkle hinter einen Baum. Als wir fertig sind, hilft mein Vater der alten Dame auf die Beine, und wir gehen weiter.
Zuerst höre ich nur ein leises Klopfen auf den Blättern über unseren Köpfen. Dann bricht der Regen durch die Baumwipfel.
»Wir können uns da drüben unterstellen«, sagt mein Vater. Ich springe schnell unter den großen Baum.
Die alte Dame geht den Pfad entlang und findet eine Stelle mit freiem Blick auf den Himmel. Der Regen strömt auf sie hinab, aber sie schaut lachend in die Wolken und öffnet den Mund.
»Sommerregen«, sagt sie und sieht uns mit Regentropfen in den Augen an. »Wie warm er ist!« Ihr Kleid klebt an ihrem Körper.
»Heute ist der letzte Sommertag. Morgen wird es Herbst, ihr werdet sehen.«
Der Regen lässt nach, und wir gehen weiter. Der Garten riecht nach warmer Erde und süßlichen Blumen.
»Mein Vater brachte Samen aus Amerika mit«, sagt die alte Dame. Ihre Stimme klingt angestrengt, aber sie hält nicht inne.
»Den Rest bekam er aus Südamerika, Afrika und Australien geschickt. Die Leute behaupteten, dass es niemals hier wachsen würde. Dass die Pflanzen das dänische Klima nie überleben würden. Er lachte sie nur aus.«
Wir kommen an einer kleinen Vogeltränke vorbei, die mein Vater frei geschnitten hat. Die alte Dame stützt sich darauf.
»Die Samen, die mein Vater aussäte, stammten von Pflanzen, die älter als die Menschheit sind. Kein Botaniker hat sie veredelt, sie sind weder zum Schmuck noch wegen ihres Duftes gezüchtet. Es sind einfach nur Pflanzen, die nicht sterben wollen. Eher würden sie töten.«
Die alte Dame atmet tief ein und geht weiter. Die Schatten sind länger geworden.
Auf dem Rückweg kommt mir der Pfad noch schmaler vor, ich bin mir fast sicher, dass die Bäume wieder gewachsen sind, dass sie den Weg hinter uns schließen.
Mein Vater biegt die Äste zur Seite, wir treten aus dem letzten Busch hervor und stehen wieder auf dem Rasen. Hinter dem Haus geht die Sonne rot-orange unter. Heute sind wir alle drei Entdeckungsreisende gewesen.
Die alte Dame lächelt mich an, ihre Schuhe sind braun von Erde, ihr Kleid ist immer noch nass, sie schwankt ein wenig, die Erschöpfung lässt sie schwindeln. »Danke«, sagt sie. »Ich … Danke.« Sie drückt meinem Vater die Hand, gibt uns beiden einen Kuss auf die Wange, dann sagt sie, dass sie sich ein wenig ausruhen möchte.
Mein Vater setzt sich auf die Terrasse, betrachtet den Garten und raucht eine Zigarette. Ich hole für ihn
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