Wie keiner sonst / ebook (German Edition)
anderes zum Anziehen?«
»Ich hatte, aber …«
»Nicht mehr?«
»Nein. Ich weiß nicht, wo es hingekommen ist.«
Wir gehen die Straße entlang, mein Vater muss den Mann mehrmals stützen und in die richtige Richtung lenken. Im Tageslicht sieht er noch schlimmer aus als gestern. Wir kommen zu einer kleinen Wäscherei, hinter der Theke sitzt ein Mann und telefoniert. Seine Hemdsärmel sind aufgekrempelt, auf dem Unterarm hat er eine Tätowierung, eine Frau im Bikini. Er sieht den Mann im schmutzigen Anzug und telefoniert weiter. Wahrscheinlich hofft er, dass wir ungeduldig werden und weiterziehen, aber wir bleiben stehen, bis er auflegt.
»Wie lange dauert ein Anzug?«, fragt mein Vater.
»Bis nächste Woche. Mindestens.« Mit den Augen sagt er: Bitte geht weiter .
Mein Vater lehnt sich über die Theke.
»Ich kenne diesen Herrn nicht besonders gut, wir wohnen nur im selben Hotel. Aber ich weiß, was es heißt, in der Scheiße zu stecken.«
Der Mann hinter der Theke kratzt sich an der Tätowierung.
»Der Herr hier arbeitet für eine Firma in Jütland. Er sollte einen wichtigen Kunden treffen und mit unterschriebenen Verträgen zurückkehren. Dann trifft er die falsche Frau und kriegt in einem Hinterhof eine übergezogen. Er hat alle wichtigen Papiere und fast alles Geld verloren. Nun hat er auch sein letztes Geld versoffen, um darüber hinwegzukommen.«
Der Mann im Anzug richtet sich auf. Er glaubt die Geschichte meines Vaters wohl selbst.
»Natürlich traut er sich so nicht heim nach Jütland. Und den Kunden kann er auch nicht treffen … Du siehst ja selbst, wie er aussieht.«
Der Mann hinter der Theke nickt. Plötzlich dauert es nur eine gute Stunde, den Anzug zu reinigen. Wir warten in der Wäscherei, ich sehe die nackten Knie des Mannes hinter einem Vorhang herausgucken. Als der Anzug fertig ist, soll mein Vater sein Geld steckenlassen. »Der geht aufs Haus.«
Wir kommen aus der Wäscherei, der Mann trägt seinen Anzug, das Hemd ist wieder weiß und frisch gebügelt. Er geht erhobenen Hauptes, der Anzug dampft in der kalten Luft.
A ls wir im Hotel einzogen, standen etliche Plastiktüten an den Wänden. Ich spielte auf dem Boden, die Kleiderbügel aus dem Schrank waren Schiffe, die um die Wette über den Teppich segelten. Mein Vater sagte: »Sei vorsichtig mit der da«, und zeigte auf eine der Tüten. »Ich glaube, das ist die mit dem Porzellan.«
Ich wache auf, weil die Tür zufällt. Mein Vater ist früh aufgestanden, und wieder steht eine Tüte weniger an der Wand. Langsam leert sich das Zimmer. Er bringt ein Comicheft für mich und einen Stapel Zeitungen.
Wir essen belegte Brote und krümeln Röstzwiebeln ins Bett.
»Ich dachte, wir würden etwas mehr für die Sachen bekommen«, sagt er.
Jetzt habe ich viel Platz zum Spielen.
Die Wände sind dunkelrot, die Lampen hinter buntem Glas oder Plastikpalmen versteckt. Draußen scheint die Sonne, aber hier drinnen könnte es Mitternacht sein.
Mein Vater hilft mir auf den Barhocker, meine Füße baumeln hoch über dem Boden.
»Du musst nicht stark sein für diesen Job«, sagt der Mann hinter der Bar. »Das Letzte, was ich brauche, ist noch so ein dummer Muskelprotz voller Steroide. Von denen gibt es genug.«
Alle Stühle liegen mit den Beinen nach oben auf den Tischen. Am hinteren Ende des Raumes ist eine kleine Bühne.
»Du weißt ja gar nicht, wie viele ich schon feuern musste. Manche schon nach einem Tag. Alles Männer mit viel Muskeln und wenig Hirn – und noch kleineren Schwänzen.«
Er sieht mich erschrocken an. »Oh, Entschuldigung. Aber was solls, wir sind ja unter Männern, stimmts?«
Er schenkt mir ein Glas Orangensaft ein.
»Sicher, dass du keinen Wodka dazu möchtest?« Er lacht und will noch mehr sagen, als die Tür aufgeht und wir Schritte hören. Zwei Männer taumeln zwischen den Vorhängen durch. Sie lallen und stützen sich gegenseitig.
Der Mann hinter der Bar legt den Spüllappen beiseite.
»Das nenne ich eine Gesellenprüfung. Kannst du das übernehmen?«
Mein Vater nickt, nimmt einen Zug von der Zigarette und lässt sie im Aschenbecher liegen. Er steigt vom Barhocker und geht auf die Männer zu.
»Meine Herren, ich muss Sie enttäuschen«, sagt er. »Wir haben leider noch nicht geöffnet.«
»Die Tür ist auf, dann müsst ihr auch geöffnet haben.« Der Mann steht breitbeinig vor meinem Vater und streckt die Brust heraus.
»Tut mir leid.« Mein Vater geht weiter auf sie zu, mit ausgebreiteten Armen, wie ein
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