Wie keiner sonst / ebook (German Edition)
Plastikkatzen fallen, eine rote, eine blaue und eine gelbe. Ich stelle sie auf den Nachttisch.
Wir gehen hinunter zu den Seen, haben drei Raketen dabei. Ich darf sie anzünden.
Auf dem Heimweg werfe ich Knallerbsen.
Wir sind gerade wieder im Hotel, als mir schlecht wird.
Im Korridor dreht sich das Muster des Teppichbodens.
Ich lege mich zwischen die Papierteller mit Marzipankuchen. Auf dem Nachttisch steht noch Orangensaft. Das Gelb kriecht aus dem Glas die Wand hinauf und verbreitet sich über die ganze Decke. Nie habe ich so viel Gelb gesehen.
Ich schwitze und zittere, mein Vater holt mir ein Glas Wasser aus dem Bad. Ich zwinge ein paar Schlucke in mich hinein, dann kotze ich. Kleine Stücke Marzipankuchen und Saft landen auf dem Bett und dem Teppich.
Bis heute haben wir das Telefon nie benutzt, aber jetzt tippt mein Vater eine Nummer ein.
»Ich kann heute Abend nicht kommen«, sagt er. »Mein Junge ist krank.« Dann hört er der Stimme am anderen Ende zu. »Ja, ich weiß genau, welcher Tag heute ist. Nein, das Geld ist mir egal, ich habe nur einen Jungen.« Dann hört er wieder zu und sieht mich an. »Okay, ich frage ihn …«
Mein Vater kniet sich neben das Bett und sieht mir in die Augen. »Könntest du dir vorstellen, zu schauen, wo dein Vater arbeitet? Den Ort mal am Abend zu sehen?«
Ich antworte nicht, habe Angst, dass ich wieder kotzen muss.
»Wenn du heute Abend aushältst, nur heute Abend, dann bekommst du dein Fahrrad. Wir kaufen es, sobald der Laden wieder aufhat. Was meinst du?«
Ich sehe das Fahrrad vor mir, es schwebt über dem Kopf meines Vaters und ist unfassbar blau. Ich nicke.
Mein Vater zieht mich an und wäscht mir mit einem warmen Lappen das Gesicht. Er holt den Anzug aus dem Schrank. Ich hasse diesen Anzug, das weiß ich inzwischen. Er packt mich in eine Decke und trägt mich die Treppe hinunter, an der Rezeption vorbei und über die Straße in den Stripclub.
Dort stellt ein Mann in einem weißen Hemd die Stühle von den Tischen. Ein anderer balanciert einen Stapel Aschenbecher und verteilt sie. An der Decke hängen Girlanden und goldene Sterne. Mein Vater trägt mich an der Bühne vorbei, öffnet einen Vorhang und geht durch einen Gang, in dem dunkelrote Farbe von den Wänden blättert. Er klopft drei Mal an eine Tür und öffnet sie. Eine Wand des Zimmers besteht komplett aus Spiegeln, auf der anderen Seite sind Garderobenständer, voll behangen mit Katzenkostümen, Kaninchenkostümen und Federkleidern. Eine ältere Dame hält Nadel und Faden im Mund, sie näht Knöpfe an ein Kleid, eine Zigarette raucht sich selbst im Aschenbecher.
»Mein Junge ist krank. Sag den Mädchen, sie sollen gut auf ihn aufpassen.«
Die Dame nickt und nimmt das nächste Kleid vom Tisch. Mein Vater legt mich auf ein niedriges, dunkelgrünes Sofa in der hinteren Ecke. Mit dem Ärmel wischt er mir den Schweiß von der Stirn.
»Halt nur heute Abend durch«, sagt er.
Als ich die Augen öffne, ist das Zimmer voller Frauen. Sie sind jünger als mein Vater. Manche von ihnen tragen nur BH und Höschen. Sie schminken sich und besprühen sich mit Parfüm. Von der Bühne höre ich Musik. Ich erkenne sie wieder, es ist dieselbe, die ich nachts im Hotelzimmer höre, bloß ist sie dort nie lauter als ein Fingernagel auf einem Glastisch.
Die Mädchen lachen und rufen, um die Musik zu übertönen. Auf dem Tisch stehen Flaschen, sie schenken sich ein, bis die Gläser überlaufen. Wenn sie zur Tür hinausgehen, sehen sie aus, als gingen sie auf ein Fest. Die Kleider glitzern, sie tragen Perlenketten um den Hals, ihre hohen Absätze klappern über den Betonboden. Wenn sie zurückkommen, haben sie nur Höschen an und halten ein Knäuel Kleider in den Händen.
Sie schwitzen, die Schweißperlen rinnen zwischen ihren Brüsten den Bauch hinab und sammeln sich im Bauchnabel. Sie trocknen sich mit weißen Handtüchern ab und laufen weiter im Höschen herum, bis sie ein neues Kleid von der Garderobe nehmen.
Der Raum riecht nach Schweiß, Parfüm und Zigaretten.
Die Mädchen sehen abwechselnd nach mir. Sie streicheln mir durch die Haare und kneifen mir in die Wangen.
Über ihren Köpfen sehe ich das Fahrrad, das ich bald haben werde. Blau, oder vielleicht rot. Rot ist zwar eine Mädchenfarbe, aber es ist auch die Farbe der Feuerwehrautos und Briefkästen.
Eines der Mädchen heißt Camilla. Sie schenkt mir aus einer der Flaschen ein. »Champagner«, sagt sie und füllt das Glas mit Orangensaft auf. Ein anderes Mädchen
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