Wie keiner sonst / ebook (German Edition)
Torwart, der zur Parade bereit ist.
»Wenn Sie um diese Uhrzeit schon nackte Damen sehen möchten, müssen Sie runter in die Istedgade. Da lassen sie auch alle Hüllen fallen.«
Der Mann bleibt stehen, als mein Vater sich nur noch einen Meter vor ihm befindet. Dann lässt er die Schultern sinken. Beide folgen meinem Vater, er hält ihnen den Vorhang auf.
»Kommen Sie morgen wieder«, höre ich ihn sagen. »Dann sind Sie mehr als willkommen.« Die Tür fällt hinter ihnen zu.
Mein Vater nimmt die Zigarette aus dem Aschenbecher, der Mann hinter der Bar grinst. »Unglaublich. Das war gut.«
Er nimmt das Glas meines Vaters und schüttet den Inhalt in die Spüle. »Du bist wie geboren für diesen Job. Ich glaube, ich kann endlich mal Urlaub machen.«
Er holt eine neue Flasche aus dem Regal, stellt zwei kleine Gläser auf die Theke und füllt sie bis zum Rand. Es sieht aus wie Apfelmost.
»Du wirst nicht glauben, was das Zeug hier kostet. Ein Glas, und die Flasche ist bezahlt.« Sie stoßen an.
»Kannst du dir eine andere Frisur machen?«, fragt der Mann. »Vielleicht die Haare mit ein bisschen Creme zurückkämmen?«
Mein Vater nickt.
»Dann hast du gerade Arbeit gefunden.« Sie reichen sich die Hände. »Ich besorge dir einen dunklen Anzug, da brauchst du dich nicht drum zu kümmern.«
Am ersten Abend gehe ich mit meinem Vater zur Arbeit. Er duftet nach Seife und trägt seinen neuen Anzug.
Einer der anderen Türsteher steht schon vor dem Stripclub, ein großer Schwarzer mit Glatze, die im Laternenlicht glänzt. Er füllt seinen Anzug voll aus, eine falsche Bewegung, und der Stoff würde aufreißen.
»Ich passe auf deinen Vater auf«, sagt er und hebt mich hoch, dass ich in der Luft hänge. »Keine Angst, ich passe gut auf ihn auf.«
Ich sitze auf der Fensterbank unseres Hotelzimmers und schaue hinaus auf die Straße. Von meinem Vater kann ich nur eine Schulter sehen, manchmal auch den ganzen Rücken, wenn er ein paar Schritte nach draußen geht. Die Leute kommen und gehen, Taxis halten vor dem Stripclub, und Männer steigen aus. Mein Vater hält ihnen die Tür auf. Andere kommen in dicken Mänteln allein über die Straße, manche werden eingelassen, andere müssen weitergehen.
Ein junges Paar mit Rucksäcken berät sich unter meinem Fenster. Sie stehen lange vor dem Hotel, schauen auf die Nummer über der Tür und auf den Zettel, den das Mädchen in der Hand hält. Ich höre nicht, was sie sagen, die Worte gehen im Straßenlärm unter. Der junge Mann schüttelt den Kopf, und sie gehen weiter.
Ich behalte meinen Vater im Auge. Wenn er verschwindet, beginne ich zu zählen. Achtzehn, neunzehn … Bei vierundzwanzig lehne ich mich weit aus dem Fenster, sehe ihn noch immer nicht. Bei zweiunddreißig taucht sein Ellbogen auf, dann mehr. Er hält einen Mann an der Schulter, mit der anderen Hand fasst er ihn am Handgelenk. Draußen richtet er den Schlips des Mannes, klopft ihm auf die Schulter und schickt ihn auf den Weg.
Das junge Paar kommt zurück, diesmal geht der Mann ein paar Meter voraus. Die Rucksäcke sehen aus, als wären sie in der Zwischenzeit schwerer geworden. Wortlos betreten sie das Hotel.
Dann sehe ich wieder meinen Vater. Solange ich ihn im Auge behalte, kann ihm nichts geschehen.
D ie Tür geht auf, das Geräusch der Schritte meines Vaters wird zu Regentropfen auf dem Dach eines Busses, der die ganze Nacht durchfährt und erst weit weg in einem fremden Land anhält. Wir steigen aus und füttern die Giraffen, geben den Affen ein paar Stücke von unserem Frühstücksbrot.
Mein Vater windet sich im Schlaf, ich rieche Bier und Tabak und weiß, dass alles in Ordnung ist.
An manchen Tagen kommt mein Vater erst, wenn die Sonne durch die Vorhänge scheint und das Zimmer orange färbt. Dann bringt er Frühstück mit. An anderen Tagen packt er mich warm ein, und wir gehen zu den Seen und essen Brot vom Bäcker. An manchen Tagen muss ich zur Schule, an anderen machen wir lange Spaziergänge durch die Stadt. Wenn wir den Rathausplatz überqueren, schaue ich nicht auf die große Turmuhr. Die Zeit vergeht viel zu schnell, und bald muss mein Vater wieder zur Arbeit. Ich habe die Zähne geputzt und liege im Bett. Mein Vater erzählt das Märchen vom Prinzen und dem König weiter. Jeden Tag hoffe ich, dass er die Zeit vergessen wird, dass seine Augenlider schwer werden, dass er im Hemd einschlafen wird und ich ihm die Schuhe ausziehen kann. Es geschieht niemals, er küsst mich auf die Stirn, nimmt das
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