Wie Kinder heute lernen
angedrohte Sanktion, die Eltern nicht wahr machen, ein Verbot, das sie in der nächsten Minute wieder aufheben oder abschwächen, machen das Instrumentarium der Erziehungsmaßnahmen wirkungslos. Das Belohnungssystem des Gehirns ist vor allem darauf ausgerichtet, zukünftige Ereignisse zu berechnen. Es ist mehr ein Erwartungssystem als ein System, das nach erhaltener Belohnung aktiv wird. Überhaupt arbeitet das Gehirn eher nach einem regelsuchenden Prinzip, sowohl bei der Wahrnehmung von Sinnesreizen als auch bei den Folgen des eigenen Handelns. Entsprechend ist für Kinder wichtig, dass die Handlungen der Eltern in sich konsistent und berechenbar sind. Dies gilt für das Loben und, wenn es nötig ist, eben auch für Sanktionen.
Mit gutem Vorbild vorangehen
Kinder lernen aber nicht nur durch Belohnung und Bestrafung, sondern vor allem durch Vorbildverhalten. Wenn Eltern ihren Abend ausschließlich vor dem Fernseher verbringen, werden Kinder das als normal ansehen und in ihr Verhaltensrepertoire übernehmen. Lesen Eltern stattdessen viele Bücher, beeinflussen sie
in der Regel das Leseverhalten ihrer Kinder positiv. Auch welche Bedeutung Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit zukommen, sollten Eltern ihren Kindern vorleben. Menschen lernen vor allem durch Nachahmung. Kinder imitieren die Verhaltens-, Sprech- und Essweisen der Menschen, die sie umgeben. Dies geschieht völlig automatisch und meistens unbewusst. Eltern sind für diese Art des impliziten Lernens die wichtigsten Bezugspersonen. Entsprechend werden die Kinder nur schwer verstehen, warum sie etwas nicht dürfen, was andere, ihnen wichtige Menschen vorgemacht haben. Genauso sind sie frustriert, wenn sie von ihren Eltern negative Konsequenzen eines Verhaltens zu spüren bekommen, das die Eltern selbst praktizieren. Darüber hinaus sind wechselnde Regeln und unvorhersehbares Verhalten der Eltern schädlich für die Gehirnentwicklung, da sich die gebildeten Verarbeitungswege im Gehirn immer wieder lösen können und neu festigen müssen. Kinder versuchen, in den Handlungen anderer Menschen eine Matrix zu entdecken, in die sie ihre eigenen Handlungen - und die Konsequenzen ihrer Handlungen - einpassen können. Dies ist aber unmöglich, wenn sie keine beständigen Regeln vorfinden.
Auch Lehrer belohnen und tadeln
Lenas Eltern sind entsetzt. Vor ihnen liegt ein Brief aus der Schule. Es handelt sich um einen Tadel, den Lena bekommen hat, weil sie wiederholt die Schule geschwänzt hat.
Was ist ein Tadel? Ein Tadel ist eine Erziehungsmaßnahme, die der Schule zur Verfügung steht. Bei Verstößen gegen die Schulordnung werden Lehrer je nach Schwere zunächst ein Erziehungsgespräch mit dem Schüler führen und dann einen Tadel oder Verweis aussprechen (bei schweren Verstößen geschieht das direkt). Es kann aber auch eine Lehrerkonferenz einberufen werden, die darüber entscheidet, ob das Kind mit einem schriftlichen Verweis, dem vorübergehenden Ausschluss vom Unterricht, der Versetzung in eine Parallelklasse oder der Androhung der Entlassung
von der Schule bestraft wird. Im Wiederholungsfalle kann es tatsächlich zur Entlassung von der Schule kommen. Diese schweren Erziehungsmaßnahmen werden aber nur bei tätlichen Angriffen oder schwerem Mobbing in Erwägung gezogen.
Um solche Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen der Schule zu vermeiden, sollten Eltern im Vorfeld erzieherisch auf das Kind einwirken. Wenn dies nicht gelingt oder Eltern sich überfordert fühlen, ist es ratsam, frühzeitig den professionellen Rat eines Schulpsychologen oder bei einer Erziehungsberatungsstelle einzuholen. Je früher Sie handeln, desto besser! Im Nachhinein lassen sich gravierende Folgen nur noch schwer korrigieren.
Lehrer bestrafen üblicherweise mit dem Rotstift, einer schlechten Note, Strafarbeiten oder einer Ordnungsmaßnahme. Körperliche Bestrafung, seelische Grausamkeiten oder entwürdigende Äußerungen sind verboten. Einen Schüler in der Ecke Kniebeugen machen zu lassen, ihn »Missgeburt« zu nennen oder ihn vor den Mitschülern zu demütigen, ist nicht erlaubt. Lehrer loben einen Schüler, indem sie positive Kommentare unter seine Arbeit schreiben, die besonderen Leistungen des Kindes im Unterricht hervorheben oder sich beim Elternsprechtag wertschätzend über das Kind äußern. Wünschenswert und aus neurobiologischer Sicht geradezu zwingend wäre, dass Lehrer wie Eltern die - doch sehr deutsche - Kultur des Fehlersuchens und Bestrafens durch eine noch zu entwickelnde
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