Wie Kinder heute lernen
Versuchshunde bildeten nicht nur dann Speichel, wenn sie ihr Futter sehen oder riechen konnten, sondern nach einer Lernphase auch, wenn nur eine Glocke läutete. Das Beispiel der Pawlow’schen Hunde belegt, dass sogar das vegetative, also autonome und unabhängig vom Willen laufende Nervensystem, wie z. B. der Herzschlag, durch eigentlich neutrale
Reize von außen beeinflusst werden kann. Es mag die Konditionierung als Mittel der Erziehung verdeutlichen, denn es zeigt die Bedeutung von Fremdreizen für Lernen und Verhalten. Aus dem Alltag sind viele Situationen bekannt, die eine Verbindung zwischen einem Reiz und einer Reaktion deutlich machen. So kann es z. B. beim Anblick eines weißen Kittels oder eines Lehrers mit Klassenarbeitsheften in der Hand bei Einzelnen zu Angstzuständen kommen, wenn bestimmte Erfahrungen eine bestimmte Erwartungshaltung vorprogrammiert haben.
Bei der operanten Konditionierung geht man davon aus, dass eine bestimmte Handlung in Zukunft wiederholt wird, wenn auf das Ausführen der Handlung ein verstärkender Reiz (auch Verstärker genannt) unmittelbar oder kurz danach folgt. Der amerikanische Psychologe Burrhus F. Skinner wies diese Methode der Konditionierung ebenfalls im Tierexperiment nach. Seine Ratten und Tauben sollten lernen, einen bestimmten Hebel zu drücken. Die Tendenz, den Hebel zu drücken, nahm schnell zu, wenn auf das Drücken des Hebels stets eine Futtergabe folgte, sie nahm ab, wenn ein negativer Reiz (ein kleiner Stromschlag) spürbar wurde.
Verstärker sind also Reize, die entweder, wie bei Skinner, direkt ein Bedürfnis befriedigen (Nahrung) oder dies indirekt tun (z. B. durch Geldgeschenke). In diesen Fällen sind die Verstärker positiv. Es gibt aber auch negative Verstärker, wenn die Wegnahme von unangenehmen Reizen als Verstärker eingesetzt wird (z. B. Aufhebung eines Fernsehverbots). Dann gibt es noch die Bestrafung, die im Extremfall sogar aus körperlichen Strafen bestehen kann - also Handlungen, die wehtun.
Diese historischen Beispiele aus den Anfängen der Verhaltensforschung sollen nur verdeutlichen, welch enge Abhängigkeit zwischen äußeren Reizen und einem Verhalten bestehen kann. Kinder lernen z. B. sehr schnell, dass man seine Hand nicht auf eine heiße Herdplatte legt, wenn sie sich dabei einmal verbrannt haben. Doch nicht immer muss dieser Zusammenhang so deutlich ersichtlich sein.
Belohnung und Bestrafung
Wenn man die Erziehungsmethoden der letzten fünfzig Jahre Revue passieren lässt, kann man erkennen, dass Erziehungswissenschaftler und Eltern in dieser Zeit sehr unterschiedliche Auffassungen von Erziehung hatten.
In den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts hielt man bei Fehlverhalten von Kindern eine strenge Bestrafung für das geeignete Erziehungsmittel. Damals wurden Kinder oft von ihren Eltern körperlich gezüchtigt (manchmal sogar mit dem Rohrstock), oder sie bekamen »Stubenarrest«. In den 60er Jahren wurde diese Art der Erziehung von der antiautoritären Bewegung abgelöst. Der Brite Alexander Neill forderte von Eltern, ihre Kinder zu lieben und zu respektieren. Eltern sollten ihre Kinder nicht verprügeln, sondern sie ohne jede Bestrafung gedeihen lassen. Doch auch die antiautoritäre Erziehung hat sich nicht als gängiges Erziehungskonzept durchgesetzt. Was nun?
Moderne Erziehungskonzepte versuchen, den Einsatz von Strafen auf ein absolut notwendiges Minimum zu beschränken. Körperliche Strafen sind jedoch tabu, weil sie eine gefährliche Gratwanderung zwischen Bestrafung und Kindesmisshandlung sind und selten den gewünschten als vielmehr einen kontraproduktiven Effekt haben.
Grundsätzlich muss aber zwischen zwei Formen der Bestrafung, einer starken und einer milden Form, unterschieden werden. Strenge Strafen, z. B. Schläge, erzeugen im Kind Angst. Mit solchen Strafen sind derart starke Emotionen verbunden, dass sie positives Lernen ausschließen. Kinder lösen das Problem, indem sie lernen, starke Strafreize zu vermeiden. Sie lügen ihre Eltern und Lehrer lieber an oder schwänzen die Schule. Gerade Kinder, die zu oft zu streng bestraft werden, fallen bei nächster Gelegenheit wieder in alte Verhaltensmuster und Problemlösungsstrategien zurück. Bei der milderen (und somit immer angemesseneren) Form der Bestrafung erfolgt die Wegnahme einer Vergünstigung, z. B. der Fernsehabend oder das Computerspielen.
Wenn Michael in Latein eine Fünf hat, weil er nicht gelernt hat, können seine Eltern unterschiedlich reagieren: Eine
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