Wie Kinder heute lernen
ihr Selbstbewusstsein. Und beides wirkt sich positiv auf ihre kognitive Entwicklung aus. Gerade für Einzelkinder dürften Krabbelgruppen und Kindergärten daher sehr förderlich sein.
Wissen schlägt IQ
Wie wichtig die Umgebung für ein heranwachsendes Kind ist, belegt unter anderem eine Studie des neuseeländischen Psychologen James Flynn. Er untersuchte die Daten von normierten Intelligenztests aus 14 Ländern über das gesamte 20. Jahrhundert hinweg (vor allem Westeuropa, Japan, USA). Dabei zeigte sich, dass der IQ in all diesen Ländern durchschnittlich alle zehn Jahre um drei bis fünf Punkte gestiegen ist. Dieses Phänomen, das als Flynn-Effekt bekannt ist, wirft die Frage auf, woran es liegt, dass wir immer klüger werden. Die Gene scheiden als Antwort aus, dafür ist die Entwicklung viel zu schnell. Also bleiben nur Umwelterfahrungen, die die dramatische Zunahme des IQ erklären könnten. Dass diese nicht schon früher aufgefallen ist, hängt damit zusammen, dass IQ-Tests immer auf die Durchschnittsleistung aller getesteten Kinder eines Jahrgangs normiert werden.
Wenn man aber die Leistungsfähigkeit der Kinder von heute auf 1960 zurückrechnet, würde ein durchschnittliches Kind heute zu den besten 25 Prozent der Kinder gleichen Alters von damals zählen! Deutlicher kann man kaum zeigen, wie lohnend eine gute Erziehung, entsprechende Ernährung und ein ordentliches Schulsystem sind - und zwar für jedes Kind. Das Ergebnis macht aber auch deutlich, dass Gene, auch wenn sie einen langen Schatten haben, bei Weitem nicht alles dominieren und für alles verantwortlich gemacht werden können. IQ-Tests messen nur einen Anteil von Intelligenz, und zwar den, der die größte genetische Komponente hat (50 Prozent). Und selbst hier kann Erziehung aus einem unterdurchschnittlichen Kind eines machen, das in das Mittelfeld gelangt, und aus einem Mittelfeld-Kind kann ein überdurchschnittlich intelligentes Kind werden. Unsere Gehirne reagieren in einem gewissen Sinne wie Muskeln auf Training: Sie steigern ihre Leistungsfähigkeit, wenn sie nur genügend trainiert werden.
Der Flynn-Effekt erlaubt aber noch eine weitere Aussage, die quasi die andere Seite der Medaille ist: Ein hoher IQ, eine
schnelle Auffassungsgabe und ein gutes Gedächtnis allein reichen nicht aus, um in Schule und Beruf erfolgreich zu sein. Zu einer Erziehung, die dem Kind viele Anregungen gibt und ihm viel Aufmerksamkeit schenkt, müssen außerdem Ausdauer, Fleiß, Anstrengungsbereitschaft und Motivation beim Kind selbst hinzukommen. Dies belegen auch die Arbeiten des Mentors der deutschen Bildungsforschung, Franz Weinert vom Max-Planck-Institut für psychologische Forschung in München. Er konnte zeigen, dass für schulische Leistungen und Lernfortschritte vor allem das zu Beginn eines Schuljahrs verfügbare Wissen verantwortlich war - und zwar nahezu unabhängig von der Intelligenz der Schüler. So ergab sich z. B. für die Mathematikleistung in der elften Klasse ein sehr enger Zusammenhang mit den Leistungen in der Grundschule und dem dort erworbenen mathematischen Wissen. Der Zusammenhang zwischen beidem war sehr viel enger als der Intelligenzquotient und die mathematischen Fähigkeiten dieser Schüler. Diese Resultate belegen, dass man sich über Jahre hinweg intensiv mit einer Disziplin beschäftigen muss, will man in diesem Gebiet wirklich gut sein. »Wissen, nicht Intelligenz, ist der Schlüssel zum Können. Defizite in der Intelligenz können durch Vorwissen offensichtlich wettgemacht werden. Defizite im Vorwissen hingegen nicht«, so fasst die Psychologin Elsbeth Stern von der ETH Zürich diese Studienergebnisse zusammen. An dieser Stelle sei noch mal daran erinnert, dass es auch dabei natürlich nicht nur um reine Fakten geht, sondern um Bildung, also das Wissen über geschichtliche Zusammenhänge, das Wissen darum, woher unser Wissen kommt, mathematisches Verständnis und den Umgang mit Sprache. Je mehr ein Schüler weiß, umso leichter kann er Assoziationen zu bestehendem Wissen in seinem Gehirn herstellen und sich Fakten und Zusammenhänge merken. Nur wer Wissen mit Intellekt paart, schöpft seine Intelligenz voll aus.
FAZIT
Zu den Mythen, die sich rund um die Intelligenz ranken, gehört, dass sie sich mit Hilfe von IQ-Tests vollständig messen lässt und erblich sei. Beides ist aber nur in Teilen richtig: In der Tat werden in modernen IQ-Tests wichtige Aspekte von Intelligenz erhoben, aber eben längst nicht alle. Auch die von den
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