Wie Kinder heute lernen
Vorhersagekraft für den späteren Schulerfolg dieser Kinder: Vierzehn Jahre später schnitten nämlich jene Kinder, die die beste Impulskontrolle hatten und dem Wunsch, das Marshmallow sofort zu essen, nicht nachgaben, auch in Intelligenz- und Hochschulexamenstests besser ab als die Kinder, die ihren Impuls nicht kontrollieren hatten können. Vor allem was den späteren beruflichen Erfolg anging, war der Ausgang des »Marshmallow-Tests« ein wesentlich besserer Indikator als der bei den Kindern gemessene IQ: Er war doppelt so gut. Darüber hinaus waren diejenigen, die als Vierjährige eine größere Selbstbeherrschung zeigten, auch mit 18 Jahren sozial kompetenter, durchsetzungsfähiger und konnten mit Frustrationen und selbst mit Situationen, in denen sie unter Druck gesetzt wurden, besser umgehen. Sie nahmen Herausforderungen leichter an. Auch als junge Erwachsene waren sie besser in der Lage, eine Belohnung aufzuschieben, um ein Ziel zu erreichen, als diejenigen, die schon im Alter von vier Jahren nicht der Versuchung widerstehen konnten, eine Belohnung sofort einzulösen.
Wie aber kann es sein, dass ein so einfacher Test bei vierjährigen Kindern eine mehr als doppelt so gute Aussage darüber erlaubt, wie leistungsfähig ein Kind einmal werden wird, als das Resultat eines Intelligenztests? Wie sind solche Ergebnisse zu interpretieren? Und was können Eltern daraus lernen?
EQ schlägt IQ
Zunächst einmal entspricht dieser Test einer Erkenntnis, auf die Albert Einstein schon in seiner Autobiografie hingewiesen hat: »Wir sollten uns davor hüten, den Intellekt zu unserem Götzen zu machen. Er hat ohne Zweifel kräftige Muskeln, aber es fehlt ihm an Persönlichkeit.« Wenn Eltern sich fragen, was für ein
Mensch ihr Kind später einmal sein wird, denken sie natürlich nicht allein an die Intelligenz ihres Kindes. Genauso machen sie sich darüber Gedanken, wie es mit anderen Menschen umgehen, ob es einen guten Charakter entwickeln und in der Lage sein wird, seine Talente auszuschöpfen und optimal einzusetzen. Für alle diese Fähigkeiten ist der IQ, auf den Einstein hier anspielt, nicht entscheidend, denn er ist zwar ein Maß dafür, wie schnell man neue Aufgaben schlussfolgernd bewältigen kann, aber wie gut man sich und andere in ihren Absichten und Fähigkeiten einschätzen kann, misst er nicht. Und selbst da, wo man meinen könnte, dass der IQ wichtige Aussagen über schulische und berufliche Aussichten macht, ist sein diagnostischer Wert umstritten. So hatten bereits in den 40er Jahren des vorherigen Jahrhunderts Psychologen damit begonnen, über viele Jahre hinweg den IQ-Wert von Harvard-Studenten zu verfolgen und ihn mit ihrem beruflichen Erfolg in Bezug zu setzen. Dabei stellte sich heraus, dass ein hoher IQ-Wert nur begrenzt etwas über den späteren Erfolg vorhersagen konnte. Weder legten die Absolventen mit den besten Intelligenztestergebnissen eine größere Zufriedenheit mit ihrem Leben an den Tag, noch waren ihre familiären oder freundschaftlichen Beziehungen glücklicher oder besser als die ihrer Kollegen, die ein schlechteres IQ-Ergebnis erzielt hatten. Ein hoher IQ ist also noch lange kein Garant für beruflichen Erfolg, Wohlstand und persönliche Zufriedenheit.
Der beschriebene Marshmallow-Test dagegen erlaubte eine wesentlich zuverlässigere Aussage über den Erfolg, den die Kinder im Laufe ihres Lebens haben würden. Denn er ermittelt eine übergeordnete Kategorie (Metafähigkeit) menschlichen Handelns: die emotionale Intelligenz.
Was verbirgt sich hinter diesem Begriff, der in den letzten Jahren in mancher Hinsicht zu einem Modewort avanciert ist? Das Konzept für diese Art von Intelligenz wurde 1990 von zwei amerikanischen Psychologen, Peter Salovey und John Mayer, entwickelt. Aber erst fünf Jahre später machte der New York Times -Reporter
Daniel Goleman mit seinem Bestseller Emotionale Intelligenz den Begriff populär. Von ihm stammt auch das Kürzel EQ, eine Anspielung auf den IQ. Diese Form der Intelligenz umfasst ein ganzes Bündel von emotionalen Fähigkeiten, deren wichtigste Komponenten sind:
› der Zugang zu eigenen Gefühlen und die Fähigkeit, zwischen verschiedenen Gefühlsregungen sehr genau unterscheiden zu können
› Emotionen angemessen kontrollieren zu können
› Emotionen in den Dienst eines Ziels zu stellen, z. B. indem man in der Lage ist, auf eine große Belohnung zu warten und dafür auf eine kleinere, sofort verfügbare, zu verzichten
› Empathie, d. h. gut
Weitere Kostenlose Bücher