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Wie kommt das Salz ins Meer

Wie kommt das Salz ins Meer

Titel: Wie kommt das Salz ins Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Schwaiger
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die Küche getragen, das Tischtuch eingerollt und über dem Geländer des Küchenbalkons ausgeschüttelt. Es geht mir gut. Andere Frauen haben keinen Küchenbalkon. Rolf schiebt seinen Arm unter meinen Nacken, er kommt näher, es ist so still, alles so schwarz und still, er kommt ohne Gesicht, aber ich weiß, daß er es ist, ich kann nicht, er kann trotzdem. Wenn die Natur die Männer so zimperlich gemacht hätte wie die Frauen, dann wäre die menschliche Rasse längst ausgestorben. Er schläft jetzt gut, wenn ich ihm auch nicht Languste war, nur Faschiertes.
     
     
    Wie er den Zucker in die Tasse wirft, umrührt, den Löffel auf den Teller legt, die Tasse hebt, trinkt, wie er die Brille poliert und aufsetzt, die Tasse in die Küche trägt, Wasser rinnen läßt, die Tasse ausspült, wie er den Mantel nimmt und die Aktentasche, die Tür aufschließt und hinter sich schließt, und wieviel Zeit ich habe, das zu sehen, jeden Morgen.
     
     
    Einmal wollte ich ja, wollte etwas tun, ich war aus gutem Haus, ich würde immer ein gutes Haus haben und gut sein, es hatte alles seine Richtigkeit, wie wir lebten, was Vater, Mutter taten, jeder tat eben das seine, und ich lernte lesen und schreiben, im Kindergarten war es so langweilig gewesen, aber die Volksschule hochinteressant, und dann die Matura. Es war alles abgesteckt und gut vorgezeichnet. Wenn du Matura hast, beginnt das Leben. Aber was fängt man an mit so viel Freiheit? Ein Semester schenke ich dir, sagte Vater, verbummle es, schau dich um in Wien, und dann entscheide dich. Eines aber sage ich dir schon jetzt, sagte Vater, das einzige wirklich befriedigende Studium ist die Medizin. Also Medizin. Und nicht Schauspielerin oder Verkäuferin oder Journalistin. Medizin ist der Weg, und da rutsche ich aus, weil ich die Leichen im Seziersaal nicht als Lernobjekte benützen kann. Ich kann das nicht, im Bauch unter den, Gedärmen den richtigen Darm herauswühlen, ich kann den Schädel der alten Frau, der auf dem Tisch liegt, nicht häuten, ich sehe nur gelbe Füße und Leichentücher, ich mag die Witze der Studenten nicht, sie mögen mich auch nicht, sie nennen mich Jungfrau aus der Provinz, also was willst du tun, sagte Vater, ich warte auf deine Entscheidung. Vielleicht Dolmetscher. Vater ist enttäuscht. Wir hätten schon die Unterschrift geübt, meinen Vornamen und den Familiennamen, den ich von Vater habe, mit Doktorat, das haben wir einen ganzen Abend lang geübt, wie man mein zukünftiges Doktorat am besten in einem flotten Zug mit dem Vornamen verbindet. Ich habe einen ungünstigen Anfangsbuchstaben bei meinem Vornamen, wir brauchten lange, um uns zu einigen, und Vater sagte, ich sollte das Doktorat gleich mit dem Familiennamen verbinden, und hinten das Kürzel für meinen Vornamen dranhängen.
    Als Dolmetscher bekommst du kein Doktorat, nur ein Diplom. Genügt dir das wirklich? Ganz plötzlich war ich in die untere Klasse gerutscht. Wenn ich bei den Kollegen saß, nannten sie mich Frau Kollegin. Durfte ich zu denen gehören? Sie waren doch alle zweitklassig. Sie wollten auf Konferenzen dolmetschen und nachsagen, was andere sagten. Ohne Doktorat. Wie konnte man so leben wollen? Also inskribierte ich Germanistik. Wir zerhackten ein Goethe-Gedicht nach den Regeln der Metrik. Da fiel mir ein, daß Goethe die Germanistik nicht gebraucht hatte, um sein Gedicht zu machen. Was studierte Goethe? Also Rechtswissenschaft. Da tritt Rolf dazwischen, liebt mich und findet, eine Frau habe keine Chancen, lieber etwas Weibliches. Schauspielerin möchte ich werden. Schauspielerin ist zu unsicher. Einen Brotberuf. Lehrerin. Nein, ich will keine Lehrerin werden. Warum nicht? Ich kann mich doch nicht hinstellen vor die Kinder und so tun, als wüßte ich mehr als sie. Ich kann doch nicht dreißig Kinder auf einmal erziehen. Was gibt es noch für Berufe, bei denen die Frau eine Chance hat, ohne aufzuhören, eine richtige Frau zu sein? Das ist so schwer. Malerei vielleicht? Kein Brotberuf. Ja, du machst nette Zeichnungen, das solltest du pflegen, aber als Hobby. Merke dir eins, mein Kind: Man soll sein Hobby nie zum Beruf machen. Dann wird es einem nämlich verleidet. Rolf interessierte sich doch so fürs Radiobauen und Schiffekonstruieren. Jetzt studierte er Technik, und es hing ihm längst zum Hals heraus. Also wollte er wenigstens den Doktor der Technik machen, zum Diplomingenieur dazu, um der Sache mehr Reiz zu geben.
    Ich merkte, daß mir der kleine Motor fehlt, den sie alle eingebaut

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