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Wie kommt das Salz ins Meer

Wie kommt das Salz ins Meer

Titel: Wie kommt das Salz ins Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Schwaiger
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Tierschutzkalender und ein Kalender vom SOS-Kinderdorf. Gerahmte Fotografien meiner drei im Krieg gefallenen Onkel. Hier ist alles richtig, und es muß etwas Höheres geben, sagt Großmutter, einen höheren Willen und ein Jenseits, denn sonst wären ihre Söhne ja sinnlos gestorben. Großmutter steht jeden Morgen um sechs auf, wäscht sich gründlich, will nicht das moderne Badezimmer benützen, sie hat ihre Porzellanwaschschüssel und die Waschlappen, sie beichtet ihre Sünden, das sind immer die gleichen, also Unmäßigkeit im Essen und manchmal Fleisch am Freitag. Der Pfarrer weiß das schon und erteilt die Absolution bereits, wenn Großmutter mit dem Aufzählen anfängt, wieviel sie am Sonntag gegessen hat, obwohl sie schon satt war. Der Pfarrer hat vor kurzem gesagt, Fleisch am Freitag ist jetzt keine Sünde mehr, aber sie beichtet es trotzdem, sicherheitshalber. Einmal im Monat kommuniziert sie, betet auch für Vater und Mutter, weil sie keinen Glauben haben, jetzt auch für Rolf und mich, und dann kocht sie das Mittagessen, da riecht es im ganzen Haus so gut, daß Vater enttäuscht ist, wenn er sich an den Tisch setzt, weil es Großmutters Gulasch war, was er gerochen hat. Und nach dem Essen legt sie sich hin, hat einen guten Schlaf, läßt sich nicht stören vom Straßenlärm, sie sagt, man gewöhnt sich daran wie der Hund an die Schläge, und auf der weißen Kredenz stehen Gefäße mit heiligem Wasser aus Lourdes, und die Weinende Muttergottes hat sie auch einmal gesehen auf einer ihrer Reisen zur sizilianischen Freundin Amalie, die, die immer die Briefe schreibt mit den Rechtschreibfehlern; aber eine gute Haut. Großmutters Küchenfenster gehen auf den Hof. Der Himmel hat jeden Tag eine andere Farbe, und wenn man die Glocken der Johanneskirche hört, bleibt das Wetter schlecht. Auf dem Eiskasten stehen Porzellanbirnen in einem Porzellankorb auf einem Deckchen, weil alles geschont werden muß. Abends setzt sie sich in den Ohrensessel in unserem Fernsehwohnzimmer, das Vater Herrenzimmer nannte und später Bibliothek, aber wir sagen einfach das Fernsehwohnzimmer, da legt sie die Füße, die in wollene Hausschuhe geschnallt sind, auf einen Schemel, hört und sieht Schreckliches aus anderen Welten, dankt ihrem Herrgott für das zufriedene Leben, das sie hat, obwohl sie doch damals, nachher, also wie heißt das, ja, nach der Kapitulation, den russischen Klub führen mußte im Kaffeehaus. Der Großvater hatte damals ja noch das Kaffeehaus, nicht wahr? Und ich habe ins Telefon gefragt, sagt Großmutter, wie sie mich angerufen haben wegen dem russischen Klub, ob das eine Ehre ist für mich oder eine Strafe. Aber sie haben mir nichts getan. Die russischen Besatzer haben ohne Servietten gegessen, und nur die intelligenteren mit Besteck, sagt sie, die anderen Russen haben die abgenagten Knochen über die Schulter auf den Boden geworfen. Der jugoslawische Kriegsgefangene schreibt ihr noch heute jedes Jahr zu Weihnachten eine Karte. Er mußte in Großvaters Sodawassererzeugung mithelfen, weil die Männer alle im Feld waren. Den Jugoslawen hat sie auch schon einmal besucht in seinem neuen Heimatort. Seine Leute nahmen ihn nicht mehr auf, weil er den Deutschen mit erhobenen Armen entgegengelaufen war. Seine Freunde waren Partisanen, sagt Großmutter, da hat der Duzan es dann schwer gehabt. Seine Frau war schon mit einem anderen Kerl zusammen, und sie sagte: Bring ihn um, den Verräter. Dabei war der Duzan nur ein armer Schneider. So gut hat sie ihre Dienstboten immer behandelt, daß alle, die noch leben, heute noch gern zu ihr kommen. Und auf dem Sparbuch liegen zwanzigtausend Schilling, das weiß niemand. Die hat sie gespart. Die werde ich einmal bekommen, abzüglich Begräbniskosten, und den Ring auch, den der Großvater ihr gekauft hat. Wenn es einmal soweit ist, sagt sie, und verrate nichts, die Tante Grete wartet nämlich auf den Ring. Mein Leben war, wie gesagt, ein Roman, sagt Großmutter, und Vater sagt auch, daß sein Leben ein Roman war, und Mutter sagt auch: Mein Leben war ein Roman. Ob ihr der Großvater nicht manchmal auf die Nerven gegangen ist, möchte ich von Großmutter wissen. Er hat seine Bleistifte immer säuberlich gespitzt, sagt sie, und einen neben dem anderen liegen gehabt, jeden Radiergummi aufbewahrt, und alles hat Ewigkeitswert bei ihm gehabt, da gab es keine Verschwendung, der Großvater war ein Charakter. Nur jähzornig. Einmal hat sie die Schlafzimmertür versehentlich von innen zugesperrt und

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