Wie man die richtige Arbeit für sich findet
vernichtendes Gefühl, als mir klar wurde, dass meine Karriere bis zu diesem Zeitpunkt sinnlos gewesen war.
Ich hatte eigentlich Angst, mir etwas zu überlegen, was nichts mit Jura zu tun hatte. Jura war meine Identität. Das geht vielen Anwälten so – es ist wie ein eigenes Label, es sagt aus, wer man ist. Wenn ich diese Identität verlor, würde ich mir entblößt und vollkommen leer vorkommen. Wenn du nicht Anwältin bist, was bist du dann? Wer bist du dann? Als ich aus den Flitterwochen wieder nach Hause kam, spürte ich, dass ich mich in einer Abwärtsspirale der Verzweiflung befand, die mit meiner Arbeit zu tun hatte, wusste aber nicht, was ich daran ändern sollte. Ich hab mich an den Computer gesetzt und ganz im Ernst bei Google eingetippt: »Was macht man, wenn man seinen Beruf hasst?«
Iain King ist nie ein konventioneller Mensch gewesen. Nach der Oberschule ist er ein Jahr lang als Straßenmusiker durch Europa gezogen – hat im Kopfstand Gitarre gespielt. Eines Sommers Anfang der Neunziger – er studierte inzwischen am College – reiste er gemeinsam mit einem Freund über die Türkei in den Nordirak. Dort freundeten die beiden sich mit einer Gruppe kurdischer Freiheitskämpfer an, fuhren mit ihnen in einem Jeep voller Maschinengewehre und Panzerfäuste über Land und entgingen knapp einer Entführung. Später gründete Iain eine überregionale Studentenzeitung, die nach sechs Ausgaben wieder einging, und arbeitete danach ehrenamtlich als Rechercheur für eine politische Partei. Da er nie einen besonderen Karriereplan hatte, landete er als Fachmann für Friedenssicherung bei den Vereinten Nationen und anderen internationalen Organisationen. Er war an der Einführung einer neuen Währung im Kosovo beteiligt und hat mit Soldaten an der Front in Afghanistan gearbeitet. Zwischendurch hat er die Zeit gefunden, ein philosophisches Buch zu schreiben, und ein Jahr als Hausmann in Syrien gearbeitet, wobei er immer der einzige Vater in den Kindergruppen der Expat-Community in Damaskus war.
Als Iains Frau mit ihrem zweiten Kind schwanger war, fand er, dass es an der Zeit sei, seine prekäre Existenz als Freiberufler aufzugeben und sich eine Festanstellung in London zu suchen, um seine Familie zu ernähren. Er hat einen Posten im Staatsdienst gefunden und berät inzwischen die Regierung bei humanitären Projekten in Übersee. Seine Tätigkeit beschreibt er mit großem Enthusiasmus: Die Aufgaben sind faszinierend, die Menschen, mit denen er zusammentrifft, spornen ihn an, und er kann für seine Arbeit auf das zurückgreifen, was er aus erster Hand in Konfliktsituationen gelernt hat. Und dennoch spürt er ein nagendes Unbehagen. Angestellter im Staatsdienst zu sein passt nicht richtig zu dem, wie er sich selbst sieht. Seine Arbeit und sein Selbstbild fallen auseinander:
Der Job ist zwar interessant, aber für jemanden wie mich doch ziemlich konventionell. Ich spüre, dass ich das nicht bin. Wenn ich morgens in der U-Bahn sitze, wird mir manchmal klar, wer ich hier bin: weiß, männlich, Anfang vierzig, Anzugträger. Einer aus der Mittelschicht, der in einem bürgerlichen Viertel von London lebt. Und dann denke ich: »Wo ist der abgeblieben, der in der U-Bahn im Kopfstand Gitarre gespielt hat?«
Äußerlich betrachtet wirke ich sehr gewöhnlich, ich selber halte mich immer noch für äußerst unkonventionell. Paradox wäre ein zu starkes Wort, aber ein Widerspruch ist es schon. In dieser Phase meines Lebens muss ich den Widerspruch akzeptieren. Ich bin konventioneller, als ich es sonst vielleicht wäre, weil meine Kinder noch klein sind und ich Alleinverdiener bin. Ich bin nicht drauf und dran, meine Stelle aufzugeben, aber manchmal frage ich mich doch: »Soll ich das wirklich für immer machen?«
Große Erwartungen
Der Wunsch nach erfüllender Arbeit – nach einer Tätigkeit, die als sinnvoll erlebt wird und in der wir uns mit unseren Werten und Leidenschaften und mit unserer Persönlichkeit wiederfinden – ist ein Produkt der Moderne. Wer Samuel Johnsons berühmtes Dictionary of the English Language von 1755 aufschlägt, wird das Wort »Erfüllung« darin nicht finden. 1 Jahrhundertelang waren die meisten Bewohner der westlichen Welt so in Anspruch genommen von der Sicherung ihrer Existenz, dass in ihrer Gedankenwelt die Frage, ob sie eine aufregende Karriere hatten, in der sie ihre Talente entfalten konnten und sich wohlfühlten, gar nicht vorkam. Erst heute hat der verbreitete materielle Wohlstand
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