Wie man die Welt verändert: Über Marx und den Marxismus (German Edition)
kommerzielle Verlage wie Penguin Books sicherlich nicht bereit gewesen, die Grundrisse zu veröffentlichen, noch dazu in einer »Pelican Marx Library« genannten Edition. Zwischenzeitlich aber war der Text, mehr oder weniger widerstrebend, als integraler Bestandteil des Korpus der Marx’schen Schriften anerkannt worden, und das selbst in der UdSSR, und 1968/69 fügte man ihn schließlich der vorangegangenen Ausgabe der Werke von Marx und Engels an, wenn auch im Vergleich zum Kapital in einer kleineren Auflage. Die Veröffentlichung in Ungarn und in der ČSSR folgte bald, und nach dem Tod Maos erschienen die Grundrisse in China.
Die Debatten über die Grundrisse lassen sich nur schwer von dem politischen Umfeld trennen, in dem sie stattfanden und das sie umgekehrt beförderte. In den 1970er Jahren, als die Diskussionen am intensivsten waren, litten sie zugleich darunter, dass eine Generation und auch eine Kultur verlorengegangen war, insofern nämlich die meisten der mit den Marx’schen Texten vertrauten Wissenschaftler aus der (vor allem mittel- und osteuropäischen) Pioniergeneration fehlten, Menschen wie Rjasanow und Rosdolsky, die sich durch eine enorme Leidenschaft und Gelehrsamkeit ausgezeichnet hatten. Von jüngeren trotzkistischen Intellektuellen gingen ein paar ernsthafte Anstrengungen aus, an frühere Untersuchungen zum Ort der Manuskripte von 1857/58 in der Entwicklung des Marx’schen Denkens anzuknüpfen und insbesondere nach ihrem Platz in Marx’ Gliederungsplan zu fragen, von dem – als ein Torso – nur Das Kapital vorliegt. Prominente marxistische theoretische Polemiken indes gingen von Autoren wie Louis Althusser (in Frankreich) und Antonio Negri (in Italien) aus, die offen gesagt nur unzureichend mit marxistischer Literatur vertraut waren, und wurden von jungen Männern und Frauen aufgenommen, denen es selbst bislang an einer genauen Kenntnis der Texte oder vielleicht an der Fähigkeit fehlte, die über sie in der Vergangenheit entbrannten Kontroversen zu beurteilen, wenn auch womöglich nur aus sprachlichen Gründen.
Mittlerweile treten marxistische Parteien und Bewegungen nur selten als maßgebliche Akteure auf der globalen Bühne in Erscheinung, und die Debatten über ihre Doktrinen, Strategien, Methoden und Ziele bilden nicht mehr zwangsläufig den Rahmen, in dem sich wiederum Debatten über die Schriften von Marx, Engels und ihren Nachfolgern entwickeln. Die Welt scheint eindrucksvoll zu demonstrieren, wie klar Marx den ökonomischen modus operandi des kapitalistischen Systems durchschaute. Vielleicht ist dies also der richtige Augenblick, um zu einer eingehenden Untersuchung der Grundrisse zurückzukehren, weniger beeinträchtigt durch provisorische Erwägungen zur linken Politik als in der Zeit zwischen Chruschtschows Verurteilung Stalins und dem Sturz Gorbatschows. In jeder Hinsicht ist es ein ungeheuer schwieriger, doch zugleich auch ungeheuer lohnender Text, und sei es auch nur, weil er den einzigen Leitfaden bietet, um den vollen Umfang der Abhandlung zu ermessen, von der Das Kapital nur einen Bruchteil ausmacht, und weil er zudem eine einzigartige Einführung in die Methode des reifen Marx bietet. Die Grundrisse enthalten Analysen und Einsichten, beispielsweise über Technologie, die Marx’ Untersuchung des Kapitalismus weit über das 19. Jahrhundert hinaustragen, in die Zeit einer Gesellschaft, deren Produktion nicht länger der massenhaften körperlichen Arbeit bedarf; die Analyse wendet sich der Automation ebenso zu wie dem Potential der Nicht-Arbeit oder den Veränderungen der Entfremdung unter solchen Umständen. Es ist der einzige Text, der ein Stück weit über Marx’ eigene Hinweise auf die kommunistische Zukunft in der Deutschen Ideologie hinausgeht. Kurzum, zu Recht hat man die Grundrisse als die Schrift beschrieben, die »Marx’ Denken in seinem ganzen Reichtum« zeigt.
6 DAS SCHICKSAL DER SCHRIFTEN VON MARX UND ENGELS
I
Die Schriften von Marx und Engels erlangten in den sozialistischen und kommunistischen Parteien, die von ihnen inspiriert waren, den Status von »Klassikern«; und als solche galten sie nach 1917 auch in einer wachsenden Zahl von Ländern, in denen sie zum Fundament der offiziellen Ideologie oder sogar zu einer Art säkularen Glaubens wurden. Ein großer – vermutlich sogar der überwiegende – Teil der nach Engels’ Tod unter Marxisten geführten Diskussionen bezog sich exegetisch, spekulativ oder interpretierend auf die Auffassungen von Marx
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