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Wie man die Welt verändert: Über Marx und den Marxismus (German Edition)

Wie man die Welt verändert: Über Marx und den Marxismus (German Edition)

Titel: Wie man die Welt verändert: Über Marx und den Marxismus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Hobsbawm
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wenige Ausnahmen – wie beispielsweise die im Original auf Englisch publizierten Schriften (von denen ein paar kurz nach Engels’ Tod von Eleanor Marx wiederveröffentlicht wurden) – war dieses Material das Werk, auf das Ende des 19. Jahrhunderts die marxistische Bewegung international, auch im Hinblick auf Übersetzungen, zurückgreifen konnte. Es bestand aus einer Auswahl, gewissermaßen einer Zusammenstellung, die Engels getroffen hatte. So liegt uns das Kapital nicht in der von Marx intendierten Form vor, sondern in einer Form, von der Engels dachte, dass jener das Werk so intendiert habe. Die letzten drei Bände wurden bekanntlich von Engels – und letztlich von Kautsky – aus Marx’ unvollendeten Entwürfen zusammengestellt. Doch auch beim Text des ersten Bandes stammte die letzte Redaktion von Engels und nicht von Marx, da die am weitesten verbreitete Fassung, die vierte deutsche Auflage von 1890, ebenfalls von Engels bearbeitet worden war, und zwar unter Heranziehung zunächst der zweiten Auflage, also der letzten durch Marx redigierten Version, ferner der – ebenfalls durch Marx – an der französischen Ausgabe von 1872/1875 vorgenommenen Änderungen und schließlich verschiedener Notizen im Manuskript sowie nachrangiger technischer Erwägungen. (Tatsächlich finden sich in der von Marx bearbeiteten zweiten Auflage von 1872 beträchtliche Überarbeitungen von Teilen der ersten Auflage von 1867.) Damit wäre das Korpus der klassischen Texte umrissen, auf das sich der Marxismus der Zweiten Internationale im Wesentlichen stützen konnte; hinzu kam, dass, insbesondere in Deutschland, viele ihrer Theoretiker und politischen Führer mit Engels in seinen späten Jahren persönlichen Kontakt pflegten, sowohl im direkten Gespräch als auch durch umfangreiche Korrespondenz, die allerdings erst nach dem Ersten Weltkrieg veröffentlicht wurde. Festzuhalten bleibt also, dass das Werk tatsächlich aus einem Korpus »abgeschlossener« theoretischer Schriften bestand, so wie es Engels intendiert hatte, der mit seinen eigenen Schriften versuchte, von Marx hinterlassene Lücken zu schließen und frühere Veröffentlichungen auf den neuesten Stand zu bringen. Entsprechend zielte er mit seinen redaktionellen Bemühungen bei der Bearbeitung des Kapitals verständlicherweise nicht darauf ab, die Dynamik und den Fortschritt des ökonomischen Denkens von Marx zu rekonstruieren, das sich zudem bis zu dessen Tod weiterentwickelt hatte. Eine solche historische Rekonstruktion der Entstehung und Entwicklung des Kapitals (einschließlich der Veränderungen zwischen den einzelnen Auflagen des veröffentlichten Werks) wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg ernsthaft in Angriff genommen und ist bis heute nicht abgeschlossen. Engels dagegen wollte das Hauptwerk seines Freundes in einer »endgültigen« Fassung vorlegen, die alle vorherigen Ausarbeitungen entbehrlich machen würde.
    Seine eigenen kurzen Kompendien des Marxismus, besonders die sehr erfolgreiche Schrift Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft , waren dazu gedacht, den Mitgliedern der neuen sozialistischen Massenparteien einen Zugang zu den Inhalten des theoretischen Werks zu verschaffen. Und tatsächlich verwandten die Theoretiker und politischen Führer der sozialistischen Bewegungen jener Zeit einen Großteil ihrer Anstrengungen darauf, solche populären Einführungen in die Lehre von Marx anzubieten. So verfassten in Frankreich Gabriel Deville, in Italien Carlo Cafiero und in England Edward Aveling Einführungen in das Kapital , und Kautsky veröffentlichte seine Schrift Karl Marx’ ökonomische Lehren . Das sind nur ein paar Beispiele für diese Art Kompendien. Tatsächlich scheinen – statt der Werke von Marx und Engels selbst – in den neuen sozialistischen Bewegungen die Produktion und Verbreitung derartiger Abhandlungen im Zentrum der Bildungs- und Propagandaanstrengungen gestanden zu haben. Vor 1905 lag beispielsweise die durchschnittliche Auflagenhöhe für das Kommunistische Manifest bei nur 2000 bis höchstens 3000 Exemplaren, erst später stiegen die einzelnen Druckauflagen (Zahlen sind dem Handbuch der sozialdemokratischen Parteitage entnommen). Demgegenüber wurde Karl Kautskys Schrift Die soziale Revolution (Erster Teil) 1903 in einer Auflage von 7000 Exemplaren gedruckt, 1905 waren es 21.500; von August Bebels Christenthum und Sozialismus wurden zwischen 1898 und 1902 ganze 37.000 Exemplare verkauft, gefolgt 1903 von einer

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