Wie man einen verdammt guten Roman schreibt
und überzeugend oder matt und blaß?
Man sagt, Ernest Hemingway habe bestimmte Szenen solange umgeschrieben, bis sie ihm gefielen, häufig dreißig oder vierzig Mal. Hemingway, behaupten die Kritiker, war ein Genie. War es sein Genie, das ihn dazu trieb, hart zu arbeiten, oder waren seine genialen Werke das Ergebnis harter Arbeit?
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ZEN UND DIE KUNST DES
ROMANSCHREIBENS
WIE MAN ROMANSCHRIFTSTELLER WIRD
Wenn Sie Zahnmedizin studieren, machen Sie zum Schluß ein Staatsexamen und bekommen, wenn Sie es bestanden haben, die Erlaubnis, als Zahnarzt zu praktizieren. Um die Prüfung zu bestehen, müssen Sie zunächst ein ganzes Studium absolvieren, mehrere tausend Stunden unter Aufsicht im Mund fremder Leute herumfuhrwerken, hunderte von Prüfungen machen und viel Geld bezahlen. Wenn Sie fertig sind, wird man Sie »Herr Doktor« nennen, und Ihr Kelch wird überlaufen von all dem Bohren, Füllungen machen und Rechnungen schreiben. Wenn Sie mit Goldkronen arbeiten, leise Musik im Wartezimmer spielen lassen und eine Empfangsdame mit einem freundlichen Lächeln und einer sanften Stimme haben, werden Sie vielleicht sogar reich.
Im Verlauf Ihres Studiums werden Sie sich von einem ganz normalen Bürger in einen Doktor der Zahnmedizin verwandelt haben. Sie werden sogar anfangen, sich selbst für etwas Besseres als einen normalen Bürger zu halten. Die Leute werden Sie fragen, wer Sie sind, und Sie werden sagen: »Sam Smoot, Doktor der Zahnmedizin.«
Anders als bei der Zahnmedizin gibt es für den angehenden Romanschriftsteller kein Studium, nach dessen Abschluß er sagen könnte: »Ich bin Schriftsteller.« Sie können einen Magister in Creative Writing machen oder Ihren Dr. phil. mit einer Dissertation über den zeitgenössischen Roman, aber das macht Sie nach lange nicht zu einem diplomierten Romanschreiber. Um das zu werden, müssen Sie erst einen Roman veröffentlichen.
Ein Romanschriftsteller, der noch keinen veröffentlichten Roman vorweisen kann, hat gesellschaftlich ungefähr das gleiche Ansehen wie ein Stadtstreicher. Sollte es sich herumsprechen, werden sich Ihre Freunde über Sie lustig machen. Ihre Nachbarn werden anfangen zu reden. Ihr Onkel Albert wird Sie zu überreden versuchen, Chiropraktiker zu werden, und Tante Mathilda wird Sie beiseite nehmen und Sie über die rauhe Wirklichkeit des Lebens und über die Verpflichtungen eines Erwachsenen aufklären. Ihre Gläubiger werden Sie belagern. Ihre Mutter wird zu Ihnen halten, aber nachts wird sie ihr Kopfkissen vollheulen, wenn Sie darüber nachdenkt, was Sie wohl bei Ihrer Erziehung falsch gemacht hat.
Es ist traurig, aber wahr: Ein ehrbarer und anerkannter Autor von Romanen können Sie nur werden, wenn Ihnen ein Verleger diese Ehre verleiht. Aber vergessen Sie nie: Jeder Vogel hat einmal als Ei anfangen, und jeder veröffentlichte Schriftsteller war zunächst ein unveröffentlichter - sogar die großen unter ihnen, Ernest Hemingway, Leo N. Tolstoi, Virginia Woolf und James Joyce eingeschlossen.
Es gibt verschiedene Strategien, wie man das Stigma eines Möchtegern-Romanciers vermeiden kann. Eine ist, den Leuten zu sagen, daß Sie Schriftsteller sind, ohne zuzugeben, daß Sie Romane schreiben. Angenommen, Sie schreiben einen Kriminalroman, in dem ein CollegeProfessor eine Prostituierte ermordet. Sie können jedem erzählen, daß Sie ein Buch über Sexualgewohnheiten und Sterblichkeitsziffern im akademischen Bereich schreiben. Das klingt nach einem guten Thema für ein Sachbuch. Ihre Freunde werden beeindruckt sein. Sachbücher zu schreiben ist okay, weil Sachbuchautoren als Menschen gelten, die mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen stehen. Außerdem ist es eine gängige Annahme (die vielleicht zu Recht besteht), daß jeder, der gut in Rechtschreibung ist, ein Sachbuch schreiben kann, daher wird niemand bezweifeln, daß Ihr Vorhaben von Erfolg gekrönt sein wird.
Eine andere Möglichkeit, mit Ihren Ambitionen als Romanschriftsteller hinterm Berg zu halten, ist, sich irgendwo für ein Literaturstudium einzuschreiben und nur Grundkurse zu belegen. Solange es so aussieht, als büffelten Sie für einen akademischen Grad, wird keiner Sie fragen, was Sie den ganzen Tag und die halbe Nacht hinter den verschlossenen Türen Ihres Arbeitszimmers treiben. Wenn man Sie fragt, warum Sie so unermüdlich auf Ihrer Schreibmaschine rumhacken, sagenSie, Sie schrieben an einem Referat. Jeder weiß, daß das eine vernünftige
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