Wie man Freunde gewinnt
Gespräch des ganzen Empire. An jenem Abend nun nahm ich an einem Bankett teil, das zu Ehren von Sir Ross gegeben wurde, und während des Essens erzählte mein Tischnachbar eine amüsante Geschichte, die sich um das Zitat drehte: «... und das lehr' uns, daß eine Gottheit unsre Zwecke formt, wie wir sie auch entwerfen.»
Der Erzähler fügte hinzu, daß dieses Zitat aus der Bibel stamme. Ich wußte, er irrte sich. Ich war ganz sicher. Der Mann hatte unrecht, daran bestand kein Zweifel. Um mir ein Gefühl von Wichtigkeit und Überlegenheit zu geben, spielte ich die Rolle des ungebetenen und unerwünschten Besserwissers und korrigierte ihn. Er hielt aber an seiner Meinung fest. Was behauptete ich da? Von Shakespeare? Ausgeschlossen! Absurd!
Dieses Zitat stammte aus der Bibel, das wußte er.
Der Mann, der mir die Geschichte erzählt hatte, saß zu meiner Rechten, und links neben mir saß Frank Gammond, ein alter Freund von mir, der sich jahrelang mit Shakespeare befaßt hatte.
Der Erzähler und ich einigten uns, Mr. Gammond die strittige Frage zu unterbreiten. Er hörte sich die Sache an, dann gab er mir unter dem Tisch einen Tritt und sagte: «Dale, du irrst dich.
Der Herr hat recht: Das Zitat stammt aus der Bibel.»
Später, auf dem Heimweg sagte ich zu Mr. Gammond:
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«Frank, du weißt ganz genau, daß das Zitat von Shakespeare ist.»
«Ja, natürlich», gab er zurück. «Hamlet, fünfter Akt, zweite Szene. Aber du hast offenbar vergessen, daß wir als Gäste zu einem Essen eingeladen waren, mein lieber Dale. Was hat es für einen Sinn, diesem Mann zu beweisen, daß er im Unrecht ist?
Glaubst du vielleicht, daß du dich damit bei ihm beliebt machst?
Warum läßt du ihn nicht sein Gesicht wahren? Er hat dich ja gar nicht um deine Meinung gebeten. Sie interessiert ihn nicht.
Wozu sich also mit ihm herumstreiten? Geh jedem Streit aus dem Weg.»
Geh jedem Streit aus dem Weg! Diese Lehre sollte ich nie vergessen. Ich hatte nicht nur meinen Tischnachbarn vor den Kopf gestoßen, ich hatte auch meinen Freund in eine peinliche Situation gebracht. Es wäre hundertmal besser gewesen, ich hätte den Mund gehalten.
Ich hatte diese Lehre dringend nötig, denn ich war ein unverbesserlicher Rechthaber. Es gab nichts unter der Milchstraße, worüber ich mich in meiner Jugend mit meinem Bruder nicht gestritten hätte. Im College befaßte ich mich mit Logik und Argumentation und gewann manchen Wettbewerb im Debattieren. Man sagt von Besserwissern, sie kämen aus Missouri. Ich wurde dort geboren und man merkte es. Später erteilte ich in New York Unterricht in Debattieren und Argumentieren, und einmal, zu meiner Schande sei's gesagt, hatte ich sogar vor darüber ein Buch zu schreiben. Seither habe ich Tausende von Streitgesprächen und Beweisführungen angehört, kritisiert, mich daran beteiligt, ihre Folgen beobachtet, und zum Schluß bin ich zur Einsicht gekommen, daß es auf der ganzen weiten Welt nur eine Möglichkeit gibt, eine Auseinandersetzung zu einem glücklichen Ende zu bringen, indem man ihr aus dem Weg geht und sie meidet wie die Pest.
In neun von zehn Fällen enden solche Wortgefechte damit, daß jeder der Beteiligten mehr denn je davon überzeugt ist, daß
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er sich im Recht befindet.
Man kann einen Streit nie gewinnen. Wer ihn verliert, der verliert, das ist klar; wer ihn gewinnt, der verliert aber ebenfalls.
Warum? Angenommen, Sie bleiben Sieger, widerlegen sämtliche Argumente Ihres Gegners und beweisen, daß er nicht ganz alle Tassen im Schrank hat. Was ist die Folge davon? Sie selber sind zwar höchst befriedigt. Aber was geschieht mit dem andern? Sie sind schuld, daß er sich unterlegen fühlt, Sie haben seinen Stolz verletzt - und das nimmt er Ihnen übel.
«Ein Mann, der überzeugt wird gegen seinen Willen, bleibt seiner Meinung treu im stillen.»
Patrick O'Haire hat vor Jahren einen meiner Kurse besucht. Er hatte nicht viel Schulbildung genossen und war ein leidenschaftlicher Streithammel. Er war früher Chauffeur gewesen und zu mir gekommen, weil er ohne viel Erfolg versucht hatte, Lastwagen zu verkaufen. Nach einigen Fragen stellte sich heraus, daß er sich mit den Leuten, mit denen er ins Geschäft kommen wollte, dauernd anlegte und verfeindete.
Sagte ein Interessent etwas Abfälliges über die Wagen, die Pat vertrat, dann sah dieser rot und fuhr dem Kunden an die Kehle.
Pat gewann in jenen Tagen viele Auseinandersetzungen. Wie er mir später gestanden hat, verließ er manchen
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