Wie man leben soll: Roman (German Edition)
setzen, den Frauenliebling und besten Mathematiker der Klasse, raucht man seine Pausenzigarette auf dem Schulklo wieder mit der Miene eines Mannes, der durch nichts zu erschüttern ist.
Vor der schriftlichen Mathematikarbeit trinkt man in dem Gasthaus, in dem man gewöhnlich sein Mittagessen einnimmt,einige Gläser Rotwein, um sich mental zu wappnen und Mitschülern wie Lehrern zu dokumentieren, was für eine einzigartige Wildsau man ist.
Bei der Arbeit selbst kommt ein raffinierter Plan zur Ausführung.
Grundsätzlich werden vom Lehrer zwei verschiedene Aufgabenreihen ausgegeben, Gruppe A und Gruppe B. Zwei nebeneinandersitzende Schüler bekommen unterschiedliche Fragen, um Mogelei vorzubeugen. Doch weil Peter gerissen und flink ist und man selbst zu feige, tauscht er mit dem Schüler in der Bank schräg dahinter in einem unbeobachteten Moment die Bögen. Dies hat den Vorteil, dass in zwei Bänken hervorragend voneinander abgeschrieben werden kann. Da Peter eine leserliche Schrift hat, maturiert man aus Mathematik mit Eins.
Nun hat man alle schriftlichen und mündlichen Prüfungen hinter sich gebracht. Aus dem Mund des Vorsitzenden hört man die Zauberworte »für reif erklärt«. Man erlebt ein Glücksgefühl ohnegleichen. Jetzt erst merkt man selbst, wie wichtig das Reifezeugnis ist, welche Last abgefallen, welch Horror beendet ist. Man hat gesiegt. Es steht einem frei zu tun, wonach einem der Sinn steht.
Einen Tag später erfährt man, dass dem Einspruch gegen das Urteil der Musterungskommission stattgegeben wurde und man aufgrund schwerer Fettleibigkeit und einer Tante mit Beziehungen nicht Soldat werden muss.
Man ist doppelt glücklich. Man legt Musik auf, wirft sich aufs Bett und beginnt zu träumen:
An der Universität dringt ein Verrückter in den Hörsaal ein und nimmt alle Anwesenden als Geisel. Veronika ist unter ihnen. Man überwältigt den Geiselnehmer, man verprügelt ihn furchtbar, während man von den anderen angefeuert wird. Dankbar wirft sich Veronika einem in die Arme.
Die Schulabschlussfeiern erlebt man wie einen Traum. Reden werden geschwungen, es wird auf Tischen getanzt. Davon nimmt man selbst Abstand, da man kurz zuvor zum ersten Mal die Hundertkiloschwelle überschritten hat. Die Häscher der vergangenen Jahre mutieren zu Duzfreunden, ja zu Menschen. Im Bewusstsein der eigenen Reife akzeptiert man Friedensangebote. Entgegen einer Vereinbarung wird dem Schuldirektor doch keine Fuhre Mist vors Haus gekippt.
Die Gelegenheit wäre günstig, mit diesem oder jenem Mädchen im nahe gelegenen Park Sex zu haben. Da man mit Iris liiert ist, lässt man es bleiben. Mit einem gewissen Bedauern beobachtet man das diskrete Verschwinden und Wiederkehren sich spontan findender Paare.
Als man genug getrunken hat, reißt man irgend jemandem ein Mikrophon aus der Hand und schmettert eine dynamische Version von
My way
, wofür einem das Publikum mit Standing ovations und Tränen dankt. Alles windet sich vor Rührung.
Wenn man die Schullaufbahn hinter sich gebracht hat, ist man zwar der elementarsten Begriffe in den meisten unterrichteten Gegenständen unkundig und verfügt außerdem über eine recht bescheidene Allgemeinbildung. Aber man hat bereits mit drei verschiedenen Frauen Sex gehabt und sich keine Todfeinde geschaffen.
Merke: Mehr kann man von der Schule nicht erwarten.
Wenn man das Schulabschlusszeugnis zu Mutter nach Hause bringt, tut man so, als sei dieses Stück Papier nichts Besonderes. In Wahrheit klopft einem das Herz. Man forscht in Mutters Gesicht, während sie liest.
Ihre Augen leuchten auf. Man wird an ihre Brust gedrückt. Verlegen lacht man. Über den neuen Riesenpickel an der Schläfe sagt sie wider Erwarten nichts. Noch Stunden später schwebt man auf einer Wolke heiterer Leichtigkeit.
Mit dem Maturazeugnis in der Tasche verliert man Veronika aus den Augen, kann aber dafür Verwandte durch Schmeichelei für die Idee gewinnen, dem Familienjüngsten erstens den Führerschein und zweitens eigene vier Wände zu finanzieren. Etwas Politik und Betteln, und man hält zum ersten Mal den Schlüssel zu einer Wohnung in Händen, zu der niemand sonst Zutritt hat. Iris natürlich ausgenommen, sie zieht gleich mit ein.
Tante Ernestine ist die erste, die man einlädt. Man leiht sich Onkel Johanns alten Fiat und holt sie ab. Auf dem Weg beschwert sie sich über die Qualität des Fahrzeugs. Sie schimpft Onkel Johann einen Geizhals, es sei würdelos, mit so einer
Weitere Kostenlose Bücher