Wie man leben soll: Roman (German Edition)
interessierst du dich?, fragt ein Student mit Spitzbart und Nickelbrille.
– Für Frauen!, antwortet man.
Der Student lacht.
– Das tun wir alle. Ich meine, wo liegen deine Talente?
– Ich kann singen.
– Warum versuchst du es nicht auf der Musikakademie?
– Hm, lieber nicht.
Der Studienberater malt mit einem klecksenden Kugelschreiber Ringe auf ein Blatt. Von draußen hört man das Klappern der Tabletts in der Mensa, Stimmengewirr, das Klirren von Flaschen.
– Interessierst du dich für gar nichts?
– So kann man das nicht sagen.
Der Ring auf dem Blatt verwandelt sich langsam, endlos langsam in ein Schneckenhaus. Der Studienberater rollt sich eine Zigarette. Schüchtern schaut man an ihm vorbei.
– Für dich fällt mir nur eines ein, sagt er schließlich. Kunstgeschichte. Dort sind die schönsten Frauen. Aber gib nicht mir die Schuld, wenn nichts dabei herauskommt.
Man studiert Kunstgeschichte. Der Student mit der gleichen Nickelbrille wie man selbst hat die Wahrheit gesagt. Es gibt keine andere Studienrichtung, in deren Vorlesungen so viele schöne Frauen zu bewundern sind. Und es ist auch eine gute Wahl, was das Ansehen betrifft. Alles Künstlerische hat die Aura des Edlen. Damit kommt man an intellektuellen Stammtischen ebenso gut an wie in den Nobelvillen der Vorstadt. Und wenn man das Studium abgeschlossen hat, kann man Museumsdirektorwerden, viel Geld verdienen und viele weitere schöne Frauen kennenlernen. Es ist dies ein hormonell wie pekuniär vernünftiger Entschluss. Zumindest glaubt man, dies aus dem Buch
Studieren – aber richtig
herauszulesen.
Da man keine Ahnung hat, was einen erwartet, freut man sich auf das Studium. Allen Aspekten des Studentenlebens bringt man Interesse entgegen. So wird selbst das Anstellen in der Mensa zu einem Abenteuer. Staunend hört man von Studienrichtungsvertretungen, von der Hochschülerschaft, von politischen Zirkeln. Mit Begeisterung nimmt man zur Kenntnis, dass manche Vortragende mit den Studenten per Du sind.
Beim Lustwandeln durch die Gassen der Innenstadt sollte man als fetter junger Student vorzugsweise schwarzen Hut und schwarzen Mantel, dazu ein weißes Hemd mit Stehkragen tragen. Ein Dreitagebart signalisiert Eintracht mit sich selbst und der Umwelt. Pfeifenrauchen vermeidet man. Es könnte das Gesamtbild überlasten.
Das Studentenleben bringt also Anerkennung und bietet Annehmlichkeiten auf mehreren Ebenen. Besonders famos findet man die gemeinsamen Kneipenbesuche nach der Vorlesung. Man trinkt Kaffee oder Bier oder Wein, man lernt Leute kennen, man übt sich in der Kunst, Charme zu versprühen. Dass man keine Schönheit ist, damit hat man sich abgefunden. Aber man spürt, es gibt Frauen, die gegen Korpulenz nicht prinzipiell etwas einzuwenden haben, und solange man sich pflegt und nett und lustig ist, wird man auf seine Kosten kommen.
Mittlerweile hat man erfahren, was beim Umgang mit Frauen besonders wichtig ist. Lächeln. Freundlich sein. Ihnen Komplimente machen. Aufmerksam sein. Ihre neue Frisur toll finden. Eine neue Bluse bemerken. Die schönen schlanken Männer tun das nicht, wird in
Jeder kann nett sein
verraten, das ist die Chance der anderen.
Da Paoletta aber eine Nummer zu groß ist, hilft einem bei ihr solches Wissen sicher nichts, darum versucht man es gar nicht erst.
Der Abend ist die schönste Tageszeit im Studentenleben. Wenn es gelingt, irgendwo Geld zu leihen, trifft man sich mit Freunden in gastronomischen Einrichtungen und nimmt geistige Getränke zu sich. Finden die Zusammenkünfte in Privatquartieren statt, können sogenannte weiche Drogen ins Spiel kommen, obwohl vom sexuellen Standpunkt aus von diesen abzuraten ist, da sie die Libido negativ beeinflussen.
Merke: Kiffer sind schlecht im Bett.
Von Alkohol oder Marihuana beflügelt, sitzt man beisammen und erörtert Fragen der Zeit, die einem unter den Nägeln brennen. Der Volkswirtschaftsstudent sieht mit seinem langen Zopf und seinen Christussandalen aus wie das Paradebild eines Studenten, und man ist stolz, ihn zu kennen. Der Pädagoge berichtet über Selbsterfahrungsseminare im Wald, er schwärmt von seinen Trommeln und seinem Lendenschurz, und man sperrt die Augen auf. Was es alles gibt! Die Anarchistin unterbricht ihn, indem sie ihn auf den Unterarm schlägt. Sie verlangt nach mehr und besserem Bier. Das Bier ist einem egal. Wichtig ist, dass die Musik gut ist und die Frauen schön sind.
Anlässlich dieser
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