Wie man leben soll: Roman (German Edition)
nennt, und freut sich des Lebens. Und schläft man danach mit Iris, sagt man vor dem Eindringen:
– Nun wächst zusammen, was zusammengehört.
Wenn man Mirkos Schwanz im Mund hat, fragt man sich plötzlich, was man da treibt. Es schmeckt nicht gut und ist sexuell nicht erregend. Die Tatsache, dass der eigene Schwanz in Mirkos Mund steckt, macht die Sache nicht besser. Als einzige nennenswerte Überraschung empfindet man, wie heiß der fremde Penis ist.
Aufgrund vollkommener erotischer Sinnlosigkeit bricht man das Experiment ab. Rasch trinkt man noch ein Glas vom Landwein, der einen erst in diese Situation gebracht hat. Mirko gibt man zu verstehen, dass man den Versuch nicht wiederholen will. Man ist froh, als er sich im gleichen Sinn äußert.
Richtiges Bedauern darüber, so etwas einmal probiert zu haben, fühlt man jedoch nicht, zumindest nicht, nachdem man gegurgelt und den Mund ausgespült hat. Immerhin weiß man jetzt, was Frauen beim Oralsex fühlen – oder besser, man hofft, dass sie nicht das Gleiche fühlen. Außerdem kann man von nun an kundtun, in der homosexuellen Liebe bewandert zu sein. In den Kreisen, in denen man verkehrt, stellt so etwas keinen Imageschaden dar.
Mirko studiert Medizin. Er ist der Sohn eines Zahnarztes, was ihn nicht davon abhält, leuchtend gelbe Zähne zu haben. Ein netter Kerl, der unter dem Zwang leidet, alles ausprobieren zu müssen. Er springt mit einem Fallschirm aus dreitausend Metern ab. Er belegt Kochkurse bei seinen indischen und chinesischen Nachbarn. Er fährt Kart, hüpft angeseilt von Brücken,geht ins Kabarett, probiert Drogen. Er rennt den Frauen hinterher, spielt um Geld Karten und Schach, taucht, bläst Trompete, geht Drachenfliegen, war Hully-Gully-Jugendstaatsmeister und säuft wie ein Loch. Einen interessanteren Kerl hat man an der Uni nicht kennengelernt. Er hat gesagt, man sei zu behäbig, und er wolle einen unter seine Fittiche nehmen. Man ist überzeugt, nicht einmal er selbst hat geahnt, wie weit dieses Unternehmen führen würde.
Wenn Iris eines Nachts erst kurz vor Morgengrauen nach Hause kommt, fragt man brummig, wo sie gewesen sei. Die Antwort hört man gar nicht. Man legt sich ins Bett und kehrt zu
Betty Blue
zurück.
– Ich wiederhole, ich habe mit einem anderen geschlafen, sagt sie.
– Du hast bitte was?
– Mit einem anderen Mann geschlafen.
Interessanterweise ist die erste Frage, die einem nach diesem Geständnis einfällt, eine höchst banale:
– Mit wem?
Merke: Diese Frage stellt jeder Mann jedesmal in dieser Situation. Während Frauen zumeist anders reagieren. Sie fragen: Warum?
Kurz vor seinem zwanzigsten Geburtstag wird man von seiner Freundin mit einem Philosophiestudenten im zehnten Semester betrogen. Nachdem man es erfahren hat, schläft man sofort mit Iris. Danach wiederum entspinnen sich weitere hässliche Dialoge.
– Habt ihr wenigstens ein Kondom benutzt?
– Dazu war keine Zeit.
– Kennst du ihn schon lange?
– Er ist in meinem Proseminar.
Man wundert sich über die kühle Art, mit der Iris diese und weitere Fragen (Oralsex, Vergnügen) bejaht. Sie erklärt, sie habe wissen wollen, wie es sei, mit einem anderen Mann zu schlafen. Außerdem sei man zu dick. Diese Offenherzigkeit zieht weitere delikate Fragen nach sich, etwa nach Größe und Beschaffenheit des frevelnden Liebeswerkzeugs und speziellen Fertigkeiten. Hat man sich genug gequält, bricht man, verletzt, entehrt und verraten, zusammen.
Merke: Wenn man betrogen wurde, erlebt man dunkle Stunden.
Für jemanden, der aufgrund libidinöser Unstetheit lange darüber nachgedacht hat, ob er den Partner verlassen soll, ist es eine schockierende Erfahrung, von diesem verlassen zu werden. Neben der Kränkung kommen Nachteile zum Tragen, und wenn man zu siebenundachtzig Prozent ein Sitzer ist, gerät man über diesen Betrachtungen in Panik. Wer kocht? Wer räumt auf? Wer vereinbart Zahnarzttermine?
Eine Situation wie diese erfordert Umsicht. Positive Seiten sind ihr jedoch nicht abzusprechen. Nun kann man jeden Donnerstagabend hemmungslos an der Kaderschulung junger Sozialistinnen partizipieren, ohne in den darauffolgenden Nächten aufgrund schlechten Gewissens kein Auge zuzumachen. Die schmutzige Wäsche bringt man zur Mutter, saubere nimmt man mit. Allerorts hält man Ausschau nach Frauen, mit denen man schlafen könnte. Man hält immerzu Ausschau. Auch wenn man an etwas anderes denkt, auf der Suche nach einem
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