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Wie man leben soll: Roman (German Edition)

Wie man leben soll: Roman (German Edition)

Titel: Wie man leben soll: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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während der Faust-Vorsitzende nach Bremerhaven geschickt werde.
     
    Merke: Wenn man betrunken ist, versteht man Zusammenhänge nicht.
     
    – Das kann nicht sein!, schreit der Faust-Vorsitzende und haut auf den Tisch, so dass die darauf liegenden Papiere herumfliegen. Herr Kolostrum und ich   … zusammen   … das war ausgemacht!
    Er brüllt so laut, dass weitere Männer mit Anzug und bunter Krawatte aus umliegenden Büros zusammenlaufen.
    – Sie verstehen nicht, sagt der Abteilungsleiter. Wir haben keinen Platz für Sie gemeinsam. So sind Sie eingeteilt, so werden Sie arbeiten, der eine hier, der andere dort. Einige Wochen werden Sie es ohne einander aushalten. Dann ist die Wiedersehensfreude umso größer.
    Er spitzt die Lippen und zwinkert.
     
    Wenn man eigentlich nur wegen eines Freundes an einen Ort kommt und dieser Freund einem dann entrissen wird, ist man sehr verzweifelt, zumal dieser Ort Stuttgart heißt.
    Wäre man nicht ein siebenundachtzigprozentiger Sitzer und ein dreiprozentiger Draufgänger, sondern umgekehrt, könnte man sich an dieser Stelle vom Faust-Vorsitzenden verabschieden, den Vertrag mit der gefälschten Unterschrift zerreißen undnach Hause fahren. Weil man aber ein zweiundachtzigprozentiger Mitläufer ist, wird man am späten Abend in der Nähe von Mannheim von seinem Teamchef begrüßt.

 
    Das Team besteht aus acht jungen Männern, von denen man mehr oder minder freundlich aufgenommen wird. Gleich werden die Regeln erklärt. Man wohnt zusammen, isst zusammen, zahlt zusammen. Die Arbeit im Haushalt wird geteilt. Der Koch heißt Günther. Man selbst darf abwaschen. Tagsüber geht jeder seine Route ab.
    Am selben Abend erhält man seine Einschulung. Angeraten wird einem ein standardisierter Einführungssatz: »Guten Tag, Herr/Frau Klingelschild, ich heiße sowieso und komme vom Roten Kreuz jeweiliger Ortsname. Keine Angst, es ist nichts passiert – um eine Spende geht’s.« Gewinnendes Lächeln.
    Wird einem nicht die Tür vor der Nase zugeknallt, muss man den Leuten eine Unterschrift abringen. Diese gestattet dem Roten Kreuz, auf das Konto des Spenders zuzugreifen, um einen von ihm festgesetzten Jahresbeitrag abzubuchen. Von dieser Summe erhält man als Werber 300   Prozent, die Firma 50   Prozent. Das Rote Kreuz wird erst nach dreieinhalb Jahren Nutznießer des noblen Charakters seiner fördernden Mitglieder. Ein Rechenbeispiel des Teamchefs Klaus verdeutlicht einem, auf welche Goldgrube man gestoßen ist. Der Geworbene spendet im Monat zehn DM.   Macht 120 im Jahr. Ergibt 360 für den Werber.
    Donnerwetter, so viel Geld, denkt man. Reibt sich die Hände und geht zu Bett.
     
    Am Tag darauf begleitet man zunächst den Teamchef, um zu sehen, wie er die Leute einkocht. Dann darf man allein losziehen.Um zehn Uhr vormittags läutet man mit Kopfschmerzen und Sodbrennen bei Frau Butterweck. Und wird hineingebeten.
    Punkt eins hat man 50   DM aufgeschrieben.
    Man entschließt sich, nicht länger der Novemberkälte zu trotzen. In der einzigen Pizzeria am Ort verschlingt man einen Teller Lasagne. Man ist der einzige Gast. Man bestellt sich noch einen Teller. Und dann ein Tiramisu. Um zwei zieht man wieder in den Kampf. Von drei Zigarettenpausen abgesehen, arbeitet man bis sieben durch. Man schreibt auf und schreibt auf, ohne recht zu wissen, warum die Leute so freigebig sind.
     
    Merke: Wenn man sich freut, sollte man abwarten, irgendein dickes Ende findet sich bestimmt.
     
    Am späten Nachmittag läutet man an der Tür der Familie Sonderstuhl. Ein Mädchen, wohl die Tochter, öffnet, starrt einen an, lacht auf und ruft nach hinten:
    – Komm mal, sieh dir die fette Sau vor der Tür an!
    Wenn man allein in einer fremden Stadt unterwegs ist und beschimpft wird, sucht man eine einsame Ecke auf, um ein bisschen zu weinen.
     
    Um halb acht ist Treffpunkt mit den anderen vor der Kirche. Klaus hat 150   DM aufgeschrieben, Günther 120, die anderen zwischen 50 und 100.   Man selbst hat 130.
    Die anderen verziehen das Gesicht und schauen an einem vorbei. Nur der Teamchef klopft einem auf die Schulter. Er strahlt. Als Teamchef bekommt er fünf Prozent von allem, was man aufschreibt.
     
    Es ist immer interessant, mit Menschen zusammenzutreffen, die schon allerhand erlebt haben. Wichtig ist jedoch der Rahmen, in dem diese Unterhaltungen stattfinden. Eine Sache ist es,in einem Lokal, von dem aus man zu Fuß nach Hause gehen kann, mit weltoffenen Menschen, etwa amerikanischen Gaststudenten

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