Wie man leben soll: Roman (German Edition)
kann viel passieren, man sorgt sich nicht. Die Welt ist rauh, aber schön. Von dunklen Gedanken kann keine Rede mehr sein.
Nicht einmal die Aussicht auf die weihnachtliche Familienfeier vermag einen zu erschüttern. Reißt man sich eben ein paar Stunden am Riemen, singt die ewigen Lieder der Christenheit, na und? Zum Friseur muss man vorher gehen, das ist wahr.
Merke: Man sollte einen Stammfriseur haben, der einen kennt.
Wenn man kurz vor Weihnachten zum Friseur geht, wird man von einer dominanten Blondine bedient, der das Geschäft gehört und die vom Trubel, der den Feiertagen vorangeht, genervt ist. Als man ihr erklärt, wie man den Schnitt wolle, hört sie nicht zu. Nach links und rechts bellt sie Kommandos an die Lehrmädchen. Dann sprüht sie einem die Haare nass und beginnt zu schnippeln.
Schön ist es beim Friseur, wenn man die Augen schließt, sich entspannt und einem dabei sanft der Kopf geschoren wird.
Weniger schön ist es, wenn die Friseurin dieses kontemplative Rasten von Zeit zu Zeit durch Brüllen im Kasernenhofton unterbricht.
Noch viel weniger schön ist es, wenn man nach der Eröffnungder Friseurin, sie sei fertig, die Augen aufmacht und im Spiegel einen fremden und sehr hässlichen Menschen erblickt.
Schroff bürstet einem die Friseurin Härchen von Gesicht und Hals. An der Kasse verlangt sie eine unerwartet hohe Summe. Noch immer kann man sich nicht dazu durchringen, etwas zu der missglückten Frisur zu sagen.
Nach dem Zahlen ist es zu spät. Obwohl man viel zu viel Trinkgeld gegeben hat, verschwindet die Frau grußlos nach hinten. Man steht da und starrt auf die Sparschweinchen, die neben der Kasse stehen. Noch einmal in den Spiegel zu schauen wagt man nicht.
Zu Hause nimmt man die Katastrophe in Augenschein. Man sieht aus, als habe einem die Friseurin einen Topf aufgesetzt und rundherum geschnitten. So kann man sich nirgends sehen lassen. Man ringt mit sich, man ist ein zweiundachtzigprozentiger Mitläufer, wie soll man da in einen Frisiersalon gehen und sich beschweren, man sei verschnitten worden?
Vielleicht klappt es mit Charme und Freundlichkeit.
Zurück im Laden bittet man, die Chefin sprechen zu dürfen. Nach einer Weile schlurft sie mit mürrischer Miene nach vorn. Sie erkennt einen nicht, kann sich nicht erinnern. Lächelnd sagt man, da sei wohl etwas schiefgegangen, diese Frisur habe man nicht bestellt.
– Was wollen Sie?, ruft sie so laut, dass sich andere Kunden umdrehen. Da passt doch alles! Was soll ich getan haben?
Verschnitten
?
Man deutet mit den Händen, murmelt, so habe man das nicht gemeint. Man schluckt. Grob greift sie einem an den Kopf, reißt mal hier, mal da an den Haaren.
– Das ist doch okay, da ist nichts auszusetzen! Drücken Sie sich das nächste Mal deutlicher aus, sagen Sie einfach, was Sie wollen! Was genau gefällt Ihnen nicht?
Mittlerweile wird man von allen Anwesenden angestarrt.Man fühlt sich im Unrecht. Erleichtert stimmt man ihr zu, als sie einem nachweist, dass mit dieser Frisur alles in Ordnung ist. Man nickt, bedankt sich überschwenglich und knallt mit dem Kopf gegen die geschlossene Tür, weil man es so eilig hat, den Laden zu verlassen.
Vor dem Spiegel daheim ist man so verzweifelt, dass man zu weinen beginnt. In drei Tagen ist Heiligabend. Was soll man denn jetzt anstellen?
Nach eingehender Betrachtung glaubt man, die größten Problemzonen ausgemacht zu haben. Entschlossen greift man zur Schere. Da ein Schnitt, dort ein Schnitt, da noch einer, hier noch einer. Das Ergebnis ist nicht restlos befriedigend. Man schwitzt. An einigen Stellen muss man noch einmal nachschneiden. Nun ergeben sich neue Schwierigkeiten. Man schneidet. Man schnippelt und schnippelt.
Merke: Wenn man sich selbst vor dem Spiegel die Haare schneidet, sieht man nach kürzester Zeit aus wie ein Psychiatriepatient nach einem Anfall.
Nachdem man Kaffee getrunken und sich von dem Schock erholt hat, läuft man zu einem anderen Friseur und lässt sich den Kopf kahl scheren. Auf dem Heimweg wird man von linken Jugendlichen angestänkert. Man duckt sich und beschleunigt seine Schritte. Hinter sich hört man Johlen. Links und rechts schlagen neben einem Schneebälle ein. Es macht Paff!, und man hat das Gefühl, im Schneeball, der den Kopf getroffen hat, müsse ein Stein versteckt gewesen sein. Man hält sich den schwabbelnden Bauch und rennt.
Wenn man zu Heiligabend bei seiner Verwandtschaft mit einer Glatze auftaucht, hat dies Entsetzen und
Weitere Kostenlose Bücher