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Wie man leben soll: Roman (German Edition)

Wie man leben soll: Roman (German Edition)

Titel: Wie man leben soll: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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schlechteren habe ich noch nie gehört. Du spulst deinen Vortrag ab, als würdest du jeden Moment einschlafen. Aber du bist der gutmütigste Kerl, der je hier gearbeitet hat. Das spüren die Leute. Von dir haben sie nichts zu befürchten. Sie mögen dich.
     
    Am Vormittag des siebten Tages kommt man zu einer alten Frau, die in einer schäbig eingerichteten Wohnung lebt. Es riecht nach Moder und ranzigem Speiseöl. Man will gleich wieder umdrehen, denn hier ist nichts zu holen. Die alte Frau hält einen zurück. Sie will spenden. Man wird von ihr ins Wohnzimmer geführt.
    – Warten Sie hier!
    Mit Kuchen und Tee kehrt sie aus der Küche zurück.
    – Sie singen sehr schön, junger Mann! Singen Sie mir doch etwas vor!
    Da einem nicht bewusst ist, dass man gesungen hat, errötet man und sagt verlegen, lieber nicht. Sie lächelt. Dann will sie einem fünf DM zustecken. Wo denn die Sammelbüchse sei?
    Man erklärt, die Sammelbüchse gebe es nicht mehr. Man spende über das Konto.
    Sie denkt nach. Dann sagt sie, sie habe 1000   DM Rente im Monat. Davon wolle sie 100 spenden. Das Rote Kreuz habe ihre Hüfte repariert. Sie wolle danken.
    Man fragt, ob sie wirklich 1200   DM im Jahr spenden wolle.
    Sie antwortet, dass sie 100   DM im Monat geben wolle.
    – 100   DM im Monat macht 1200 im Jahr, Frau Enders.
    – Ja! Die will ich spenden! Nehmen Sie doch Kuchen, junger Mann!
    Der Kuchen schimmelt.
    – Frau Enders, 1200   DM im Jahr sind viel Geld. Soviel wollen Sie spenden?
    – Ja.
    All die Leute, die man in den vergangenen Tagen getroffen hat, fallen einem ein. Die Familien mit kleinem oder mittlerem Einkommen, die bereitwillig spenden. Die Reichen, die durch die Gegensprechanlage mit der Polizei drohen, wenn man nicht sofort verschwinde. Das einschüchternde Hundegebell hinter den Villentüren. Und nun sitzt man einer kleinen alten Frau mit einer winzigen Rente gegenüber, deren Spende für den Werber 3600   DM bedeutet.
    Wenn einem in einer solchen Situation nichts einfällt, sollte man die alte Frau reden lassen. Sie ist froh, wenn sie jemanden hat, der ihr zuhört. Man fragt, wie es ihr mit der Hüfte ergehe. Erkundigt sich nach den Kindern und Enkeln. Dann steht man auf, erklärt, man habe die nötigen Unterlagen leider gar nicht dabei, und verabschiedet sich.
    – So ein netter Junge, hört man sie im Treppenhaus hinter sich sagen, ehe sie die Tür zudrückt.
    Zwar ist es erst elf. Doch man beschließt, eine Pause einzulegen. Man macht sich auf die Suche nach einem Gasthaus. Alle sind geschlossen. In dem Kaff, in dem Klaus einen am Morgen abgeladen hat, gibt es am Vormittag keine geöffnete Kneipe. Vermutlich hat er sich dabei etwas gedacht.
    Es ist eiskalt. Nebel hängt über dem Ort. Ab und zu fährt ein Auto vorbei. Ein kleiner Lieferwagen, ein Lastwagen. Fußgänger sind selten zu sehen.
    Wenn man die Möglichkeit findet, sich eine Weile in einer Bäckerei aufzuwärmen, riecht es dort wunderbar nach Backwerk. Der Geruch von Backwerk ist in allen Staaten Mitteleuropas gleich und löst Heimweh aus. Um den Aufruhr in sich zu dämpfen, sollte man ein paar Brötchen kaufen und daran denken,was John Wayne in einem Western zu seinem Sohn sagt: »Wenn du zurückkommst, wirst du ein Mann sein.«
    Da bis zum Treffen noch sieben Stunden bleiben, pfeift man auf John Wayne und läutet auch an keiner Tür mehr. Man lehnt sich an eine Mauer. Raucht. Man dreht Runde um Runde, ob nicht vielleicht doch eines der verdammten Gasthäuser aufsperrt. Quälend langsam zieht die Zeit dahin.
    Das ist die Apokalypse, denkt man. So sieht sie aus. Alles grau. Kalt. Kein Mensch auf der Straße. Keine Kneipe geöffnet. Die wenigen Menschen, die unterwegs sind, sind Ausgestoßene. Briefträger. Hausierer. Zettelverteiler. Pizzaboten. Nichts geschieht. Nichts.
    Völlig durchgefroren steigt man am Abend zu Klaus ins Auto.
    – Und, wieviel?, fragt er mit leuchtenden Augen.
    Man schüttelt den Kopf.
    – Na sag schon! Ich habe mit Günther gewettet, dass du heute auf über zweihundert kommst!
    – Ich fahre nach Hause.
    – Dachte ich mir, sagt der Teamchef.
     
    Merke: Wenn man ein zehnprozentiger Schulterzucker ist, hat man nicht die nötige Härte, um sein Geld anständig zu verdienen.

 
    Wenn man vom Werben aus Deutschland zurückkehrt, ist man darüber so froh, dass man alles andere nur mehr halb so tragisch nimmt. Man verlebt eine wunderbare Zeit mit Laura. Man ist glücklich. Man hat nun Geld für ein paar Monate, und in dieser Zeit

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