Wie man leben soll: Roman (German Edition)
oder japanischen Aktionskünstlern, freisinnige Konversation zu pflegen. Eine andere Sache ist es, im deutschen Hinterland in einer ungeheizten Gemeinschaftsküche zu sitzen und Zeuge wüster Schmähungen zu werden, die rüpelhafte und offensichtlich paranoide Tischgenossen gegen Gott und die Welt ausstoßen, wobei sie sich in Lautstärke und Radikalität gegenseitig zu übertrumpfen suchen. Wenn man mit einer Gruppe solcher Menschen beim Abendessen sitzt, hört man staunenswerte Dinge.
Fritz aus Kufstein ist wegen Vergewaltigung vorbestraft, was Klaus durch einen Zufall erfahren hat. Fritz fleht den Teamchef an zu schweigen. Er würde sonst fliegen. Klaus sagt, er werde es sich überlegen.
Günther, ein sozial gestörter Lkw-Fahrer mit einer hohen Bereitschaft zu körperlichen Auseinandersetzungen, glaubt, van Gogh sei der Libero von Feyenoord Rotterdam, und nur dem psychologisch Unkundigen wird es einfallen, den kleinen Fehler zu verbessern.
Norbert, der in Graz Elektrotechnik studiert, treibt unter den Teamkollegen Handel mit Pornozeitschriften, ungarischen Zigaretten, Fusel und deutschen Telefonwertkarten, die er weiß Gott woher hat und um die Hälfte des Werts verkauft.
Der Vernünftigste von allen scheint der Teamchef zu sein. Er macht zwar manchmal Stimmung und baut den einen oder anderen moralisch auf. Innerlich scheint er aber Abstand zur Gruppe zu halten.
Unsympathisch sind sie alle.
Vor Günther fürchten sich die meisten, das stellt man beim Essen fest. Ihm wird nie widersprochen. Dabei hängt er mit hündischer Ergebenheit an Klaus. Über jedes lobende Wort seines Teamchefs strahlt er wie ein Junge. Er redet ständig davon, Vizeteamchefwerden zu wollen. Er ist dumm. Mit Universitäten hat er höchstens zu tun gehabt, wenn er dort Räume ausmalen musste. Er sieht aus wie ein brutaler Kerl, der auf der Straße lebt, und Klaus wirkt wie sein Bewährungshelfer. Günthers Spaghetti sind nicht
al dente
, sondern Brei: Niemand beschwert sich.
Außerdem gibt es viel zu wenig zu essen.
Nach der Mahlzeit werden einem 50 DM abverlangt. Damit trägt man sein Scherflein zur Haushaltskasse bei. Dann darf man mit Fritz abwaschen. Währenddessen wird der Tag analysiert. Der Teamchef schreibt Zahlen auf. Man geht zu Bett, kann aber nicht schlafen, weil auf den Lagern ringsum ordinäre Witze erzählt werden. Man fragt sich, wie es Laura geht.
Wenn man umgeben von seelisch und geistig Derangierten hungrig auf einem knarzenden Feldbett liegt und nicht einmal Schokolade dabei hat, sehnt man sich nach Ascuas’ weichem Fell. Nach dem Geruch in der eigenen Wohnung. Nach den Wildwestromanen. Nach den Cafés. Sogar nach dem Faust-Vorsitzenden. Auf diese Weise gelangt man zu der hilfreichen Erkenntnis, dass das, was man bislang für ein kummervolles Dasein gehalten hat, in Wahrheit etwas Schönes ist.
Kurz bevor man einschläft, zucken letzte Bilder der realen Welt auf, man sieht Paoletta vor sich.
Am zweiten Tag schreibt man wieder 130 DM auf. Am Abend bricht, als man sich hineinlegt, das Feldbett zusammen, was von den Teammitgliedern mit Freude aufgenommen wird. Diese und die weiteren Nächte schläft man auf dem Boden.
Am dritten Tag werden es 120 DM, am vierten 140. Selten schreibt einer von den anderen mehr auf, nur der Teamchef kommt auf 200 und mehr. Aber das hilft alles nichts, man sehnt sich nach zu Hause.
Am Nachmittag des fünften Tages hat man ein erstaunliches Erlebnis. Man läutet an einer Tür, und ein Skinhead öffnet. Hinter ihm sieht man weitere kahlrasierte Köpfe. Die Herren spielen Karten und saufen. Musik dröhnt.
Man gerät in Panik. Wie von einem Tonband spielt man seinen Spruch ab. Jeden Moment erwartet man einen Faustschlag.
Die Säufer schreien, wer an der Tür sei. Der Skin ruft nach hinten, es sei nur ein Sani.
– Komm rein, Junge. Willst’n Bier?
Mit einem krampfhaften Lächeln erklärt man, leider im Dienst zu sein.
– Auf euch kann ich zählen, das weiß ich. Er klopft einem auf die Schulter. Danke, Alter. Aber mit Pinke is nich.
Heiliger Bimbam, denkt man, als man aus dem Haus draußen ist.
Das Ergebnis dieses fünften Tages beträgt 150.
Tags darauf wird man von Klaus begleitet. Er will beobachten,wie man arbeitet. Man geht mit ihm von Tür zu Tür und sagt sein Sprüchlein auf. Fast überall wird man hineingebeten.
– Ich weiß jetzt, woran es liegt.
Erwartungsvoll sieht man Klaus an.
– Positive Energie. Dein Vortrag ist miserabel, einen
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