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Wie man mit einem Lachs verreist

Wie man mit einem Lachs verreist

Titel: Wie man mit einem Lachs verreist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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erscheint - der Legende zufolge - der schlaue Gagliaudo, ein Bauer vom Schlage Bertoldos*, läßt sich von den Stadtoberhäuptern alles Getreide übereignen, das noch zusammenzukratzen ist, mästet damit seine Kuh Rosina und führt sie zum Weiden vor die Mauern der Stadt. Natürlich wird die Kuh von Barbarossas Männern ergriffen und
    geschlachtet, aber wie staunen sie, als sie das Tier so prall
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    voller Korn finden! Und Gagliaudo, der den Dummen zu spielen versteht, erzählt Barbarossa, in der Stadt gebe es noch so viel Getreide, daß man gezwungen sei, es ans Vieh zu verfüttern.
    Kommen wir noch einmal zu Carducci zurück, und denken wir an jenes Heer von Romantikern, die nachts weinen, an den Bischof von Speyer, der an die schönen Türme seiner
    Kathedrale denkt, an den Pfalzgrafen Ditpoldo mit der blonden Mähne, der nicht mehr glaubt, seine Thekla jemals
    wiederzusehen, alle tief deprimiert und bedrückt von der Vorstellung, »durch die Hand von Krämern« sterben zu müssen
    ... Das deutsche Heer bricht die Zelte ab und zieht davon. Dies die Legende. In Wirklichkeit war die Belagerung viel blutiger, anscheinend haben sich die Milizen meiner Heimatstadt gut geschlagen, aber die Stadt zieht es vor, als ihren Helden jenen schlauen, unblutigen Bauern im Gedächtnis zu behalten, der keine großen militärischen Gaben besaß, aber sich von einer leuchtenden Gewißheit leiten ließ: daß alle anderen noch etwas dümmer seien als er.
    Alessandrinische Epiphanien
    Ich weiß, daß ich diese Erinnerungen im Geiste großen
    Alessandrinertums beginne, und ich kann mir auch keine, sagen wir: monumentalere Präsentation vorstellen. Ja, ich glaube, daß zur Beschreibung einer »platten« Stadt wie
    Alessandria der monumentale Ansatz verfehlt wäre, weshalb ich es vorziehe, mich ihr auf stilleren Wegen zu nähern.
    Nämlich indem ich von Epiphanien erzähle. Die Epiphanie ist (ich zitiere Joyce) »wie eine plötzliche Manifestation des Geistes, in einem Wort oder einer Geste oder einem
    Gedankengang, die erinnernswert sind«. Ein Wortwechsel, das Schlagen einer Turmuhr, das durch den Abendnebel dringt, ein Geruch nach faulem Kohl, etwas völlig Unbedeutendes, das auf einmal bedeutsam wird - das waren die Epiphanien, die Joyce in seinem nebligen Dublin registrierte. Und Alessandria ähnelt mehr Dublin als Konstantinopel.
    Es war ein Morgen im Frühling 1943. Die Entscheidung war gefallen, wir verließen die Stadt, um uns vor den Bomben in Sicherheit zu bringen. Unter anderem waren wir auf die
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    wunderbare Idee verfallen, in das Städtchen Nizza Monferrato zu gehen, wo wir zwar vor den Bomben sicher sein würden, aber ich, nach wenigen Monaten ins Kreuzfeuer zwischen
    Faschisten und Partisanen geraten, sehr bald lernen sollte, in Gräben zu springen, um den Garben der Sten-MPs zu
    entgehen. Es war frühmorgens, und wir fuhren zum Bahnhof, die ganze Familie in einer Mietdroschke. Wo der Corso Cento Cannoni sich zur Kaserne Valfré hin verbreitert, auf jenem weiten Platz, der um diese Zeit verlassen dalag, schien mir, als entdeckte ich in der Ferne meinen Schulfreund Rossini, ich sprang auf, wodurch ich die Kutsche gefährlich ins Schwanken brachte, und rief ihn mit lauter Stimme beim Namen. Er war's nicht. Mein Vater wurde böse und schalt mich, ich sei wie immer gedankenlos, so benehme man sich nicht, man brülle nicht wie ein Verrückter » Verdini« über den Platz. Ich präzisierte, es sei Rossini gewesen, er erwiderte, ob Verdini oder Bianchini, das sei doch dasselbe. Ein paar Monate später, nachdem Alessandria das erste Mal bombardiert worden war, erfuhr ich, daß man Rossini mit seiner Mutter tot unter den Trümmern gefunden hatte.
    Epiphanien müssen nicht erklärt werden, aber in dieser
    Erinnerung sind mindestens drei enthalten. Erstens, ich war gescholten worden, weil ich einer zu großen Begeisterung nachgegeben hatte. Zweitens, ich hatte unbedachterweise einen Namen ausgesprochen. In Alessandria wird jedes Jahr zu Weihnachten ein Krippenspiel namens „Gelindo“ aufgeführt. Die Geschichte spielt in Bethlehem, aber die Hirten sprechen und argumentieren im alessandrinischen Dialekt. Nur die römischen Zenturionen, der heilige Joseph und die drei Könige aus dem Morgenland sprechen italienisch (und der Effekt ist sehr komisch). Nun begegnet einer von Gelindos Knechten, Medoro, den drei Königen und sagt ihnen unbedachterweise den Namen seines Herrn. Als Gelindo das erfährt, wird er wütend und

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