Wie man sich und anderen das Leben schwer macht
Problemen beschäftigt. Lösungen sind einfach langweilig.
Wenn wir also Lösungen gleich wieder zu Problemen erklären und uns das Leben ein bisschen schwerer machen, dann dient das
unserem Vergnügen, unserem Glück. Und wenn wir
anderen
das Leben schwer machen, tragen wir zu deren Glück bei. Das zu tun, ist unsere Pflicht. Es ist tätige Nächstenliebe.
Erfreulicherweise gibt es bereits zahllose Bücher und Fernsehsendungen, die nichts anderes zum Ziel haben, als das Leben so
kompliziert zu machen. Helfer, Therapeuten, Ratgeber tun ihr Bestes, unser Dasein um Schwierigkeiten zu vermehren. Am gründlichsten
gelingt das durch Empfehlungen und Tipps, etwa zu Gesundheit, Finanzen, Liebe, Wunscherfüllung, zu Vergangenheitsbewältigung
und Zukunftsplanung. Dergleichen Ratschläge, stets als hilfreich und wichtig ausgegeben, machen das Leben herrlich kompliziert.
Natürlich bemühen wir uns zuweilen, solche Ratschläge zu befolgen. Obwohl wir schon ahnen: Wer sein Leben verbessernwill, wird es sich richtig schwer machen. Und wer es nach Kräften vereinfachen möchte, wird Verwirrung ernten. Eigentlich
schade, dass die aus Amerika hereingeschwappte Simplify-Welle schon wieder versickert. Glücklicherweise ist es bis heute gelungen,
unter dem Simplify-Banner rund zehntausend Seiten zu füllen mit geschätzten hunderttausend Tipps, wie das Leben zu vereinfachen
sei. Wer nur einen Bruchteil davon befolgt, schafft sich so wunderbare Komplikationen, dass noch die folgenden Generationen
daran zu knabbern haben.
Im Allgemeinen führen Ratschläge zu gar nichts, einfach weil sie sich nicht befolgen lassen. Irgendetwas anderes, möglicherweise
das Leben selbst, ist stärker. Mit Feuereifer setzen wir einen Sieben-Punkte-Plan zur Neuordnung unserer Wohnung um. Wir räumen
auf, bewältigen Liegengebliebenes, werfen weg. Wir fühlen uns befreit und animieren Freunde, uns emsig nachzueifern. Denn
unser Dasein fühlt sich an wie runderneuert! Komisch nur, eine Woche später pendelt es sich auf demselben Level ein, auf dem
es vorher schon war.
Warum befolgen wir heute den einen Rat – und morgen nicht mehr? Warum halten wir uns eine Zeit lang begeistert an Pläne und
Vorsätze und lassen es dann wieder? Warum beherzigen wir nicht mal unsere eigenen Erkenntnisse?
Vermutlich weil es gar nicht in unserer Entscheidung liegt. Die Hirnforschung ist noch an kein Endergebnis gelangt, aber so
viel scheint sicher: Eine Entscheidung wird irgendwogetroffen, kommt im Körper an, kommt im Gehirn an – und dann denken wir: Ich habe mich entschieden. Die Entscheidung war schon
vor diesem Gedanken da. Der Impuls kam woanders her. Woher eigentlich?
Vom Unfassbaren, meinte Mohammed. Ihm verdanken wir eine niederschmetternde Weisheit: »Wenn Gott beschließt, dass ein Mensch
an einem bestimmten Ort sterben soll, gibt er ihm einen Grund, dorthin zu gehen.« Dem arglosen Menschen taucht ein Gedanke
auf, er weiß nicht weshalb. Da sollte ich mal hinfahren, denkt er, da wäre es schön! Und packt die Koffer. Wozu er dann hingefahren
ist, erfährt er vor Ort, nur nutzen wird ihm die Erkenntnis nicht mehr. Und dieses Prinzip gilt nicht nur fürs Sterben, es
gilt für alles im Leben.
Ramana Maharshi, einer der im Westen geschätzten indischen Weisen, erklärte: »Wenn etwas geschehen soll, wirst du es mit keiner
Macht verhindern können; und wenn etwas nicht geschehen soll, wirst du es mit keiner Macht zuwege bringen.« Wenn etwas dran
ist, wird es passieren, auch wenn wir es scheußlich finden. Und wenn es nicht dran ist, wird es nicht passieren, mögen wir
auch noch so viel dafür tun. Egal welche Ratschläge wir befolgen und welche Entscheidungen wir scheinbar treffen: Das Leben
schnurrt ab und kümmert sich nicht.
»Kein Sperling fällt vom Dache ohne den Willen meines Vaters«, sprach der Weisheitslehrer der Evangelien. Wer auf dem Dach
bleibt und wer runterfällt: Das regelt jemandanders. Allah, Jehova, das Sein, das Leben. Uns bleibt lediglich die Einbildung, wir hätten die Kontrolle.
Es ist allein diese Einbildung, die das Leben schwierig oder kompliziert macht. Weil sie uns eine scheinbare Wahlmöglichkeit
auferlegt. Weil wir Sperlinge denken, mit Kunst und Tricks könnten wir uns etwas länger auf dem Dach halten oder auf einen
sonnigeren Platz rutschen. »Nicht ohne den Willen meines Vaters«, meinte Rabbi Joshua.
Er vertrat sogar die Ansicht, wir sollten uns mal die Lilien auf dem
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