Wie redest du mit mir
unendlich vieles mehr.
Der Verschleierin, der die oben genannten Vorschläge noch zu deutlich nach »Sich-drücken-Wollen« klingen, steht noch eine raffinierte Variante zur Verfügung. Die hat den Vorteil, dass sie sehr persönlich klingt ohne es wirklich zu sein. Es ist die bei Paaren, aber auch bei Abteilungsleiterinnen, besonders beliebte Wir-Formulierung. »Wir (meine Partnerin und ich) haben gerade Ärger miteinander.« »Wir von der Buchhaltung fühlen uns immer wieder von den anderen Abteilungen ausgenützt«. Zugegeben: Bei »Wir«-Formulierungen steckt die Sprecherin im Gesagten deutlicher mit drin als bei »man« und »es«. Dennoch gibt sie sich nicht offen zu erkennen. Sie verschanzt sich erneut hinter anderen; sei es die eigene Abteilung im Betrieb oder die eigene Partnerin.
Den bisher vorgestellten Verschleierungstechniken ist gemeinsam, dass sie die zuhörende Gesprächspartnerin verunsichern. Bekommt diese doch denkbar leicht das Gefühl, dass sie es nicht mit einem einzelnen Mitmenschen zu tun hat, sondern mit einer ganzen Institution, die hinter der Sprecherin steht und dem Gesagten Nachdruck verleiht.
Die massivste Form der Verschleierung ist jedoch der Vorwurf, meist in Form von Du-Formulierungen vorgebracht (vgl. Kap. 1. 1. 2.). Nach dem Motto »Angriff ist die beste Verteidigung« kann ich mich, damit mir im Gespräch bloß kein »Ich« herausrutscht, auf das »Du« beschränken. Gekoppelt mit anderen Kommunikationsfehlern, auf die wir noch ausführlicher eingehen werden, lassen sich die schönsten Angriffe auf die arme Fragestellerin starten. Bezogen auf unser Beispiel bietet sich an: »Findest du es eigentlich richtig, mich das jetzt zu fragen?« (Gekoppelt mit einer Suggestivfrage); »Du solltest wirklich wissen, dass man so etwas nicht so einfach ansprechen kann« (Gekoppeltmit »man« und einer Belehrung); »Du musst ja selbst ganz schön Probleme in deiner Partnerschaft haben, wenn du mich das fragst« (Gekoppelt mit negativem Interpretieren). Und vieles, vieles mehr, denn der Vorwurfs-Spezialistin sind kaum sprachliche Grenzen gesetzt. In dem Bestreben, sich selbst nicht zu erkennen zu geben und sich damit unangreifbar zu machen, schiebt sie ihrer Gesprächspartnerin die schwarze Petra zu. Dass diese darauf nicht nur verwirrt, sondern meist heftiger reagiert, ist leicht nachzuvollziehen. Je nach ihrem Kommunikationsstil wird sie sich massiv rechtfertigen; entweder klassisch: »Ja aber ich wollte doch nur …«; oder bereits fortgeschritten und ihrerseits mit Kommunikationsfehlern garniert: »Ich habe doch nur gefragt, weil
man
dir den Ärger förmlich ansieht« (= gekoppelt mit »man« und negativem Interpretieren). Vielleicht zieht sie sich mehr oder weniger wortlos zurück: »…« und straft die Partnerin so mit Missachtung. Oder vielleicht reagiert sie ihrerseits mit Gegenvorwürfen. Und wenn sie geschickt genug ist, bringt sie in einem Satz alle Kommunikationsfehler, die ihr die Partnerin gerade noch um die Ohren gehauen hat: »Du glaubst doch wohl nicht, dass das die feine Art ist, miteinander umzugehen, aber das kennt
man
ja von dir, dass du nicht anders als patzig sein kannst« (Du-Satz, gekoppelt mit Suggestivfrage, Belehrung, »Man«-Formulierung, negativem Interpretieren). Wenn beide Gesprächspartnerinnen die Vorwurf-Gegenvorwurf-Strategie einschlagen, entbrennt in Windeseile ein unfruchtbarer und ausgesprochen verletzender Streit. Beide wissen nachher meistens nicht mehr so recht, worum es eigentlich ging. Sie haben lediglich das Empfinden, von der anderen zu Unrecht angegriffen worden zu sein. Die Gefühle, die sie füreinander hegen, verschlechtern sich durch solche Erlebnisse zusehends.
Bei dieser Form der Verschleierung wird vielleicht am deutlichsten, wie teuer das Bemühen, sich keine »Blöße« zu geben, erkauft werden muss.
Zweite Verschleierungsregel: Wie es in dir aussieht, geht niemanden etwas an!
Sicher kennen Sie die Begrüßungsphrase »Wie geht es Ihnen?« Vielleicht kennen Sie aber auch das entsetzte Gesicht Ihres Gegenübers, wenn Sie ihm darauf wirklich ernsthaft zu erklären versuchen, wie es Ihnen geht.
Unsere Sprache bietet uns eine Fülle von Höflichkeitsphrasen an, die den oberflächlichen Umgang zweier oder mehrerer Menschen regeln sollen, ohne dass sie sich dabei näher kommen. Sicherlich hat die Fragende in unserem Beispiel eine der oben geschilderten unverbindlichen Antworten wie »Danke gut« oder »Danke der Nachfrage«
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