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Wie soll ich leben?

Wie soll ich leben?

Titel: Wie soll ich leben? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Bakewell
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dreiunddreißig an, obwohl er in Wirklichkeit erst zweiunddreißig war) käme dem – laut Aristoteles – besten Heiratsalter nahe: fünfunddreißig (in Wirklichkeit siebenunddreißig) Jahre. Montaigne war etwas jünger, seine Frau etwas älter als der Durchschnitt: Sie wurde am 13. Dezember 1544 geboren und war damit zum Zeitpunkt ihrer Hochzeit (am 23. September 1565) knapp einundzwanzig und im besten gebährfähigen Alter. Leider brachten die Kinder dem Paar vielSchmerz und Kummer. Und obwohl Montaigne mehr als zehn Jahre älter war als seine Frau, scheint er – wie so viele Männer – eine Frau geheiratet zu haben, die seiner Mutter sehr ähnlich war. Diese Wahl machte ihn nicht besonders glücklich.
    Er erwähnt Françoise in den Essais nicht sehr oft, und wenn, dann lässt er sie sprechen wie seine Mutter Antoinette, nur mit sehr viel lauterer Stimme. Ehefrauen «haben von Natur aus die Neigung, ständig andrer Meinung zu sein als ihre Männer», meint er. «Mit beiden Händen ergreifen sie jeden Vorwand, sich ihnen zu widersetzen.» Er scheint dabei an Françoise gedacht zu haben, auch als er bemerkte, man dürfe seine Wut nicht blindlings an den Bediensteten auslassen:
    Ich ermahne freilich jene, die sich in meinem Hause Wutausbrüche erlauben können, […] nicht ins Blaue hinein zu toben, sondern darauf zu sehn, dass die Zurechtweisung wirklich den trifft, den sie treffen soll; denn die meisten zetern schon los, noch ehe sie ihn vor sich haben, und zetern noch ein Jahrhundert lang weiter, wenn er längst auf und davon ist […]. So fechten sie mit ihrem eignen Schatten und lassen ihr Donnerwetter an Stellen niederprasseln, wo es keiner abkriegt und wo es keinen straft – es sei denn, dass ausgerechnet einer, der nichts damit zu tun hat, ihr Gebrüll ertragen muss.
    Man kann sich vorstellen, wie Montaigne sich die Ohren zuhielt und sich in seinen Turm zurückzog.
    Zu den vielen Dingen, die er an Sokrates bewunderte, zählte dessen Vervollkommnung in der Kunst, mit einer zänkischen Frau zu leben. Montaigne stellte diese Kümmernis fast auf eine Stufe mit der Verurteilung des Philosophen zum Gifttod durch das athenische Parlament. Er eiferte Sokrates’ Strategie der Nachsicht und des Humors nach, und ihm gefiel dessen Antwort auf Alkibiades’ Frage, wie er dieser Bewährungsprobe standhielt. Man gewöhne sich daran, sagte Sokrates, «so wie jene, die sich an das ständige Knarren der Wasserschöpfräder gewöhnt haben». Auch dass Sokrates die Bosheit seiner Frau dazu nutzte, sich im Ertragen von Widrigkeiten zu üben, muss ihm gefallen haben.
    Françoise war durchsetzungsfähig und zäh, und sie überlebte Montaigne um fast fünfunddreißig Jahre. Sie starb zweiundachtzigjährig,am 7. März 1627, und überlebte damit alle ihre Kinder, auch ihre Tochter Léonor, die als Einzige das Erwachsenenalter erreichte. Auch Montaignes Mutter starb erst nach ihrem Sohn. Man könnte fast den Eindruck haben, die beiden hätten ihn ins Grab gebracht.
    Aufschluss über Françoises Charakter gewinnen wir vor allem aus der Zeit nach Montaignes Tod, als sie sehr fromm wurde. Der Tochter ihres zweiten Mannes, Charles de Gamaches, zufolge fastete sie jeden Freitag und hielt noch im Alter von siebenundsiebzig Jahren die halbe Fastenzeit durch. Mit ihrem Seelsorger, Dom Marc-Antoine de Saint-Bernard, führte sie eine rege Korrespondenz, aus der mehrere Briefe erhalten sind. Er schickte ihr Orangen und Zitronen, sie ihm Quittenmarmelade und Heu. Oft schrieb sie ihm von ihren Geldsorgen und ihren Rechtsangelegenheiten. Ihr letzter Brief an ihn drückt die Erleichterung über einen Geschäftsabschluss aus: «Damit hat Gott mir die Möglichkeit gegeben, dieses Haus meines verstorbenen Mannes und meiner Kinder instand zu halten.» Ihr Ton ist manchmal leidenschaftlich: «Ich weiß wirklich nicht, ob ich nicht lieber sterben würde, als zu wissen, dass Sie von hier scheiden.» Andererseits fürchtete sie um die Sicherheit ihres geistlichen Ratgebers, wenn er sie besuchte: «Ich würde lieber sterben, als zu wissen, dass Sie sich bei diesem schlechten Wetter auf den Weg machen.» Als junge Frau war sie wahrscheinlich unbekümmerter, aber Geld- und Rechtsangelegenheiten beschäftigten sie lebenslang. Man darf davon ausgehen, dass sie in praktischen Dingen bewanderter war als Montaigne, was nicht besonders schwer gewesen sein dürfte: Wenn man Montaigne Glauben schenkt, waren alle anderen Menschen praktischer veranlagt als

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