Wie soll ich leben?
wurde zum Oberhaupt einer Familie.
Montaigne scheint auf Frauen durchaus anziehend gewirkt zu haben, auch physisch. Immer wieder machte er ironische Bemerkungen über Frauen, die behaupteten, Männer nur ihrer geistigen Fähigkeiten wegen zu lieben, und schrieb: «Nie aber habe ich erlebt, dass sie ihrerseits bereit gewesen wären, dem auch nur unwesentlich gealterten Körper eines Mannes um der Schönheit seines Geistes willen zur Hand zu gehn.» Seine Intelligenz und sein Humor, seine liebenswürdige Persönlichkeit, aber auch seine Begeisterungsfähigkeit und seine unverhältnismäßig laute Stimme machten wohl seinen besonderen Charme aus. Die emotionale Unnahbarkeit nach La Boéties Tod stellte gewiss eine Herausforderung dar. Doch diese Zurückhaltung konnte er schnell ablegen, wenn ihm Menschen sympathisch waren. «Ich gehedann so aus mir heraus und stürze mich so gierig auf sie, dass es mir kaum je fehlschlägt, mich an sie zu heften und da einzudringen, wo ich andringe.»
Montaigne liebte Sex, und er genoss ihn reichlich. Erst in späteren Jahren nahmen sexuelle Potenz und Leidenschaft ab, ebenso seine Attraktivität – Umstände, die er in seinen letzten Essais beklagte. «Abgewiesen zu werden tut mir ebenso weh wie abzuweisen», gestand er, aber noch schlimmer sei es, wenn die Frauen einem Mann nur noch aus Mitleid zugetan sind. «Jemanden zu belästigen, belastet mich», schrieb er. Und: «Die Vorstellung entsetzt mich, dass ich einen Körper als mir gehörend umarmen könnte, der ohne Seelenregung ist» – wie in der Geschichte des «wahnsinnigen Ägypters, der, während er die Leiche einer Frau einbalsamierte und ins Grabtuch wickelte, in heftiger Begierde zu ihr entbrannte.» Eine sexuelle Beziehung müsse auf Gegenseitigkeit beruhen. «Ja, hier umschmeichelt die Lust, die ich spende, mein Empfinden in Wahrheit noch süßer als die ihm gespendete.»
Doch er gab sich keineswegs der Illusion hin, für seine Liebhaberinnen eine welterschütternde Erfahrung zu sein. Manchmal, so meinte er, seien Frauen nicht wirklich mit dem Herzen dabei, denn «oft geben sie sich nur mit einer Gesäßbacke hin». Oder: «Wie, wenn sie, während sie dein Stangenbrot kaut, es mit der Soße lustvollrer Vorstellungen würzte?»
Montaigne war überzeugt, dass Frauen über Sex viel besser Bescheid wussten, als Männer im Allgemeinen glaubten, und dass sie «von ihrer Begierde und Hoffnung dazu verführt [werden], unsre Geschlechtsteile sich dreimal größer vorzustellen, als sie tatsächlich sind». Er missbilligte anzügliche Wandkritzeleien: «Welche schädliche Vorstellungen erwecken doch die maßlosen Gebilde, mit denen jugendliche Pagen alle Gänge und Treppenhäuser der königlichen Paläste bekritzeln! Von daher rührt die maßlose Verachtung, mit der die Frauen unserm natürlichen Gemächte begegnen.» Muss man daraus schließen, dass Montaigne einen eher kleinen Penis hatte? Wohl schon, denn er beklagte im selben Essai , die Natur habe ihn «fürwahr ungerecht und stiefmütterlich behandelt», und er fügte ein klassisches Zitat an:
denn ist mein allerbestes Stück
nicht lang genug und stramm und dick
und zuckt der Damen kund’ger Blick
vor solchem Schwanz geschickt zurück
… um fortzufahren: «Dann hat mich die Natur fürwahr ungerecht und stiefmütterlich behandelt.» Er schämte sich nicht, über solche Dinge zu sprechen. «Wer über unser Leben, das teils aus Vernunft, teils aus Torheit besteht, nur ehrerbietig und den Anstandsregeln folgend schreibt, lässt mehr als die Hälfte weg», meinte er. Ungerecht erschien es ihm auch, dass Dichtern in dieser Hinsicht mehr Freiheit zugestanden wurde, nur weil sie in Versen sprachen. Und er führte zwei Beispiele von Zeitgenossen an:
Und fall ich tot auch um – o Gott erhalte
mir stets das zarte Strichlein ihrer Spalte. (Théodore de Bèze)
Versorgt von ihres Freundes Rute
Ist jeder Frau stets wohl zumute. (Saint-Gelais)
Trotz seiner erotischen Eskapaden tat Montaigne jedoch alles, was von einem Adligen erwartet wurde. An erster Stelle stand die Verpflichtung, Nachkommen in die Welt zu setzen, doch dafür brauchte er eine Ehefrau.
Françoise de La Chassaigne entstammte einer hochangesehenen Familie aus Bordeaux. Die Heirat wurde wohl in Absprache zwischen beiden Familien arrangiert, wie es damals üblich war, und auch das Alter der Braut entsprach mehr oder weniger den Gepflogenheiten der Zeit. Montaigne schrieb, sein Alter (er gibt es mit
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