Wie soll ich leben?
ihnen jedoch vor allem Italienisch, Musik und ein bisschen Mathematik für den Hausgebrauch beibrachten; das blieb so bis in die viktorianische Zeit. Eine humanistische Bildung, die allein zählte, erhielt fast keine Frau des 16. Jahrhunderts. Gebildete Frauen waren die große Ausnahme. Zu ihnen gehörte Margarete von Navarra, Verfasserin der Novellensammlung Das Heptameron , oder die Dichterin Louise Labé, die andere Frauen aufforderte, «ihren Geist ein wenig über ihre Spinnrocken und Spindeln hinauszuheben» (vorausgesetzt, dass Louise Labé nicht nur das weibliche Pseudonym für eine männliche Dichtergruppe ist, wie eine neuere These behauptet).
Im 16. Jahrhundert gab es in Frankreich tatsächlich eine Frauenbewegung. Sie war Teil der Querelle des femmes , einer – vorwiegend unter intellektuellen Männern geführten – Debatte über die Fähigkeiten der Frauen. Deren Verteidiger scheinen sich dabei gegenüber deren Verächterndurchgesetzt zu haben, auf das Leben der Frauen jedoch hatte diese Debatte wenig Einfluss.
Montaigne wird oft als ein Gegner der Gleichberechtigung der Frau abgetan, doch in diesem Streit hätte er sich wahrscheinlich auf die Seite ihrer Befürworter geschlagen. «Die Frauen haben gar nicht so unrecht», schrieb er, «wenn sie die in die Gesellschaft eingeführten Sittengesetze ablehnen – sind sie doch von den Männern ohne ihre Mitwirkung festgelegt worden.» Und er glaubte, «dass Mann und Frau aus ein und demselben Lehm geknetet sind». Auch war er sich bewusst, dass männliches und weibliches Sexualverhalten mit zweierlei Maß gemessen wurde. Entgegen Aristoteles sprach Montaigne den Frauen die gleichen Leidenschaften und Bedürfnisse zu wie den Männern, auch wenn die Frauen sehr viel schärfer verurteilt würden, wenn sie ihren Leidenschaften nachgaben. Sein Trick, die Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, hatte ihm längst auch klargemacht, dass seine Ansichten über die Frauen ebenso einseitig und unzuverlässig waren wie die Ansichten der Frauen über die Männer. «Wir Männer sind in nahezu allem ungerechte Richter über die Handlungen der Frauen.»
Er hielt es daher für die beste Strategie, sich der Domäne der Frauen so weit wie möglich zu entziehen. Er überließ ihnen den häuslichen Bereich und zog sich in seinen Turm zurück. In seinem Essai «Über die Einsamkeit» führte er dazu aus:
Frauen und Kinder, Vermögen und vor allem Gesundheit zu besitzen, sollte jeder anstreben, der kann; aber wir dürfen uns nicht so fest hieran binden, dass unser Glück davon abhängt. Wir müssen ein Hinterzimmer in unserem Geschäft haben, ganz für uns, ganz ungestört, um aus dieser Abgeschiedenheit unseren wichtigsten Zufluchtsort zu machen, unsre wahre Freistatt. Hier gilt es, den alltäglichen Umgang mit uns selbst zu pflegen, von unsrer Einsamkeit so in Anspruch genommen, dass für den Umgang mit andern Menschen und Dingen kein Platz bleibt; indem wir mit uns Zwiespräche halten und indem wir lachen, als hätten wir keine Frau und keine Kinder, kein Hab und Gut, kein Gefolge und keine Dienerschaft, auf dass, wenn wir sie eines Tages verlieren, es uns nichts Neues sei, ohne sie zurechtzukommen.
Die Bemerkung über das «Hinterzimmer in unserem Geschäft» (die arrière-boutique ) taucht in Büchern über Montaigne immer wieder auf, aber nur selten wird der Kontext berücksichtigt. Montaigne plädierte nicht für einen egoistischen Rückzug in die Innerlichkeit, sondern sah die Notwendigkeit, sich vor dem Schmerz zu schützen, den der Verlust der Familie bedeutete. Montaigne strebte nach emotionaler Distanz und Zurückgezogenheit, um nicht zu tief verletzt zu werden, entdeckte dabei jedoch, dass ihm ein solcher Rückzug die «wahre Freiheit» schenkte, einen geistigen Freiraum.
Er hatte gewiss Grund genug, stoische Losgelöstheit einzuüben. Kurz nacheinander starben sein Freund, sein Vater und sein Bruder, danach verlor er fast alle seine Kinder, allesamt Töchter. Die traurige Abfolge von Geburt und Tod hielt er in seinem «Beuther» fest:
28. Juni 1570: Thoinette. Montaigne schrieb: «Sie ist das erste Kind meiner Ehe.» Er fügte hinzu: «Und sie starb zwei Monate später.»
9. September 1571: Léonor wurde geboren, die als einziges seiner Kinder am Leben blieb.
5. Juli 1573: Eine Tochter. «Sie lebte nur sieben Wochen.»
27. Dezember 1574: Eine Tochter. «Sie starb etwa drei Monate später und wurde notgetauft.»
16. Mai 1577: Eine Tochter. Sie
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