Wie Tau Auf Meiner Haut
Den Tag hatten sie damit verbracht, teilweise sogar sehr hitzig, ihre
weitere Vorgehensweise zu erörtern. Huwe war tot, diese Bedrohung war also
nicht mehr da, und Niall konnte in seiner Aufmerksamkeit ein wenig nachlassen.
Jetzt war genau der richtige Moment für ihn zu gehen. Da sich Grace an die
Heftigkeit der ganzen Prozedur erinnerte, sah sie dem Ganzen nicht sehr freudig
entgegen. »Wie willst du denn an die Elektrizität kommen? «
»Elektrizität? « Langsam wiederholte er das Wort. »Was ist das? «
»Eine Form von Energie. Eine Kraft.«
»Kraft.« Er lachte humorlos auf. »Wir benutzen Gottes Kraft. Die Prozedur ist
dazu bestimmt, wieder zurückzukehren.«
Er setzte seine Schritte sicher, als ob er die Kerze überhaupt nicht brauchen
würde. Grace war weniger sicher. Sie fühlte um sich herum ein großes Nichts,
eine Leere, als ob Creag Dhu bereits in der Auflösung befindlich sei. Ihr Herz
schlug wild in ihrem Hals. Sie schluckte, um die unbegründete Angst zu
bändigen. Sie hatte es schon einmal gewagt und dabei weniger Befürchtungen
gehabt. Jetzt aber wusste sie Bescheid. Sie spürte die Brise auf ihrer Haut. Niall
führte sie immer weiter hinunter in die tiefe Dunkelheit hinter den Stufen. Er ließ
die Kerze draußen stehen und trat in die undurchdringliche Finsternis. Er hatte
den Arm fest um sie geschlungen, damit sie ihm nicht verloren ging.
Der Schatz lag in den schwarzen Tiefen versteckt, verströmte jedoch eine
lautlose Energie. Die Luft hätte sich eigentlich tot und leer anfühlen müssen. Das
war aber nicht der Fall. Obwohl kalt und dunkel, vibrierte die Kammer mit all den
Geheimnissen, die dort verborgen lagen. Schätze. Dinge. Und doch war der
wahre Schatz nicht das, was dort lag, sondern das, was er repräsentierte.
»Wir haben das Wasser getrunken und das Salz gegessen«, sagte Niall mit fester
Stimme. »Nun nimm uns.«
Der Blitz nahm ihr die Sicht, eine Kraft wie ein enormer Windstoß riss ihr die
Beine weg. Eine Weile lag sie taub und blind und ohne jeden Gedanken da. Als
der Nebel sich lichtete, stöhnte sie auf und versuchte, sich umzudrehen.
»Lass mich dir behilflich sein, mein Schatz«, raunte eine süßliche Stimme. Sie
wurde auf die Beine gezogen und von starken Armen gehalten. Graces Kopf fiel
zurück. Sie versuchte, sich zu konzentrieren. Als sie die Augen öffnete, blickte sie
direkt in Parrishs grinsendes Gesicht. »Du kannst dir sicher meine Überraschung
vorstellen, als meine Arbeiter dich hier auf den Steinen liegend gefunden
haben«, fuhr er fort. »Bis auf ein paar Vertrauensleute habe ich sie alle
weggeschickt. Conrad kennst du, glaube ich, schon und Paglione möglicherweise
auch.«
Benommen starrte Grace in die kalten, ausdruckslosen Augen des Mannes, den
sie auf dem Mcdonald’s Parkplatz angeschossen hatte. Er zuckte nicht einmal mit
der Wimper. Der andere Mann, Paglione, kam ihr ebenfalls bekannt vor, wenn sie
sich auch nicht mehr daran erinnern konnte, welcher der Angreifer er gewesen
war.
Eine kühle Brise fuhr durch ihr Haar, und sie wandte ihr ihr Gesicht entgegen. Es
war ein Meereswind, der über den Ort blies, wo Creag Dhu einst gestanden
hatte. Nur noch ein paar Steinwände waren übrig geblieben, daneben die
Ausgrabungen der Arbeiter. Wo war Niall? Hatten sie ihn bereits gefunden? Hatte
er die Reise überstanden?
»Du wolltest also selbst mal nach dem Gold suchen, nicht wahr? « fragte Parrish.
Er quetschte ihre Brüste und tat ihr weh. Grace unterdrückte einen Schrei,
obwohl ihr die Tränen in die Augen schossen. Sie wollte ihm jedoch nicht die
Befriedigung verschaffen, sie jammern zu hören. »Es gibt kein Gold«, brachte sie
hervor. Er richtete sich auf, und seine Augen wurden schmal. »Wie bitte? «
»Der Schatz besteht nicht aus Gold. Es sind Gebrauchsgegenstände. Es gibt kein
Gold! «
»Du lügst«, herrschte er sie an und schlug ihr ins Gesicht. Sein Schlag hätte sie
niedergestreckt, wenn er sie nicht festgehalten hätte. Er holte nochmals aus,
diesmal allerdings mit geballter Faust.
»Doch, es gibt Gold.«
Die leise gesprochenen Worte ließen sie herumfahren.
Parrish riss Grace hoch und verrenkte ihr den Arm. Sie leckte sich über die Lippe,
die von Parrishs Schlag blutete. Niall stand vollkommen entspannt da, der Wind
fuhr ihm durch die Haare und hob den Saum seines Schottenrocks an. Ein leises
Lächeln spielte auf seinen Lippen. Er stützte sich gemütlich auf sein Schwert, das
er
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