Wie Tau Auf Meiner Haut
keinen Beweis mehr
von ihr verlangte. Er betrachtete die Bücher aus Neugier, nicht weil er eine
Bestätigung suchte.
Zu den Veränderungen der Sprache bemerkte er: »Ich fand den Rhythmus
deiner Sprache von Anfang an merkwürdig, obwohl du Englisch gesprochen
hast.« Und dann: »Es gibt also doch noch Länder hinter dem Horizont. Diese
Frage habe ich mir immer schon gestellt.« Er war weder schockiert noch
ablehnend. Er war hochgebildet, er sprach sieben Sprachen, und er musste
tagtäglich mit dem Übersinnlichen fertig werden. Aber er war entwaffnend ruhig,
was wiederum ihre wenigen verbliebenen Nerven reizte.
Schließlich blickte er auf: »Diese Dokumente, die du übersetzt hast - sagtest du
nicht, ich hätte einen Teil von ihnen selbst geschrieben? «
»Genau. Du hast sie datiert und mit deinem Namen unterschrieben. Das war im
Jahr 1322.«
»Ich habe aber überhaupt keine Papiere verfasst«, erwiderte er.
»Aber ich habe sie doch selbst gesehen...«
»Vielleicht bist du ja der Grund für ihre Existenz.«
Nachdenklich nagte sie an ihrer Unterlippe. »Willst du damit sagen, dass sie gar
nicht erst geschrieben worden wären, wenn ich nicht hierher gekommen wäre?
Aber ich bin doch hierher gekommen, weil du sie geschrieben hast! «
Ein bitterer Zug spielte um seine Mundwinkel. »Ich habe Gott gehasst für das,
was er meinen Brüdern angetan hat«, erklärte er ruhig. »Aber seine Existenz
kann ich dennoch nicht bezweifeln. Wie könnte ich es auch, da ich doch seine
Macht auf Erden bewache? Wer weiß schon, was die Hand Gottes tut? « Er zuckte
mit den Schultern. »Ich versuche nicht länger, ihn zu begreifen, ich tue lediglich
meine Pflicht.«
»Du hasst Gott? « Sie starrte ihn entsetzt an.
»Wie sollte ich denn nicht? Ich wollte kein Ritter werden, aber man hat mich in
den Orden gezwungen. Ich habe ein Talent zum Töten«, sagte er, seine eigenen
Vorzüge würdigend. »Ich wurde zum besten Krieger unter uns Rittern. Ich lernte
die Geheimnisse kennen, die zu schützen unsere Aufgabe war. Und das alles im
Dienste Gottes! Dennoch ließ dieser Gott es zu, dass seine Diener im Namen
ebendieser Geheimnisse abgeschlachtet wurden. Keiner der Ritter hat seinen Eid
gebrochen, nicht einer hat das Geheimnis verraten, auch dann nicht, als die
Flammen auf dem Scheiterhaufen bereits seine Beine verbrannten. Sie haben
gelitten, und sie sind umgekommen, und Gott hat es zugelassen. Vielleicht waren
diese Dinge ja auch von Gott geplant, um diejenigen auszulöschen, die Bescheid
wussten. Nur ich bin noch übrig. Und Dummkopf, der ich bin, bin ich die ganzen
Jahre meinem Eid gegenüber treu geblieben. Denn meinen Eid habe ich nicht
Gott gegenüber geschworen, sondern den Freunden, die für ihn in den Tod
gegangen sind.«
Seine Stimme war ruhig, sein Blick abwesend. Grace wäre gerne zu ihm
gegangen, aber er schien zu weit entfernt. »Sieh mich an«, sagte er. »Ich bin
neununddreißig Jahre alt, ich sollte langsam alt werden, aber mein Haar bleibt
schwarz und auch meine Zähne fallen nicht aus. Ich bin niemals krank, und wenn
ich verwundet bin, so heilt es schnell. Er hat mich dazu verflucht, dass ich seinen
verdammten Schatz auch dann noch beschütze, wenn ich schon gestorben bin.«
»Nein«, erwiderte sie leise. »Du bist nur ein gesunder Mann.« Darin konnte sie
ihn tatsächlich bestätigen, denn sie war sich seines Menschseins und seiner
Sterblichkeit nur zu bewusst. »In meiner Zeit erreichen die Menschen leicht ihre
siebzig oder achtzig Jahre, gelegentlich werden sie sogar hundert Jahre alt. Ich
selbst bin einunddreißig.«
Erstaunt hob er die Brauen. Er musterte sie eingehend, bemerkte ihre glatte,
klare Haut und ihr glänzendes Haar. »Du siehst aber noch aus wie ein Mädchen.«
Sie wollte lieber nicht an ihr Aussehen denken, denn ihre Augen waren vom
Weinen geschwollen, ihre Gesichtszüge von der langen, ausschweifenden Nacht
erschöpft. Sie setzte sich dicht neben ihn auf die Bank.
»Erzähle mir etwas über diese Stiftung«, sagte er.
Sie erzählte ihm alles, was sie wusste. Den Grund und die Umstände von Fords
und Bryants Tod hatte sie ihm bereits vorher schluchzend erläutert. Seine Finger
trommelten beim Zuhören auf der Tischplatte.
»Ich frage mich, wie sie die Existenz des Schatzes überhaupt entdeckt haben«,
grübelte er.
»Vermutlich ein archäologischer Fund«, erwiderte Grace. Sie zögerte. »Die Macht
- was ist das eigentlich genau? «
»Es ist
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