Wie Tau Auf Meiner Haut
Sache könnte sich in Wohlgefallen auflösen, und unsere Brüder
müssten nicht sterben. «
»Nein«, entgegnete Valcour. Sein Gesichtsausdruck war stumpf, wie bei
jemandem, der bereits jeden Schrecken und alle Müdigkeit hinter sich gelassen
hatte. »Wir dürfen nicht um unsretwillen die Entdeckung des Geheimnisses
riskieren. Nur um Gottes willen darf das Geheimnis benutzt werden. «
»Gibt es denn einen Gott? « fragte Niall bitter. »Oder sind wir ganz einfach nur
Narren? «
Valcours magere, blutleere Hand hob sich und berührte Nialls Kopf in einer
sowohl segnenden als auch verhaltenen Geste. Er fühlte die dampfende Hitze, die
von dem muskulösen Körper des Kriegers aufstieg, denn Niall hatte gerade
seinen Helm abgelegt und trug immer noch die schwere Rüstung. Hätte er doch
einen Bruchteil von Nialls außergewöhnlicher Kraft, dachte Valcour müde. Der
Schotte war wie aus Stahl, weder brach er zusammen, noch wurde er müde,
ganz gleich, welchen Umständen er auch trotzen musste. Seine Schwerthand war
unermüdlich, sein Wille schwankte nie. Es gab keinen größeren Krieger im
Dienste Gottes als diesen vorbildlichen Schotten, in dessen Mischlingsvenen
königliches Blut floss. Er war nicht nur adlig, sondern königlich. Es war
ebendieses Blut, das ihm den Eintritt in den Orden überhaupt erst verschafft
hatte, denn eigentlich wäre das mit unehelicher Abstammung nicht möglich
gewesen. Der Großmeister hatte weise entschieden und in diesem Fall die
Blutsbande für wichtiger erklärt als die Vorschriften. Diese Blutsbande waren es
auch, die Niall Schutz gewährten. Clemens konnte seine blutigen, gierigen Hände
nicht auf den Schotten legen, denn er würde in seiner Heimat, den Zacken
gekrönten Bergen der Highlands, in Sicherheit sein.
»Wir glauben«, beantwortete Valcour schließlich Nialls Frage. »Du bist von allen
anderen Gelübden befreit, aber bei dem Blut deiner Brüder musst du schwören,
dass du dein Leben dem Schutz dieser heiligen Reliquien widmen wirst. «
»Ich schwöre«, wiederholte Niall inbrünstig. »Aber ihretwegen. Niemals wieder
nur für Ihn. «
Valcour blickte ihn betrübt an. Der Abfall vom Glauben war eine schreckliche
Sache - und keine Seltenheit in dieser furchterregenden Zeit. Noch mehr Männer
würden ihren Glauben oder ihr Leben verlieren. Nicht alle Brüder waren ihm treu
geblieben. Manche hatten sowohl dem Orden als auch dem Gott den Rücken
gekehrt, der ihnen solch teuflische Dinge hatte widerfahren lassen. Freunde und
Brüder waren gefoltert worden. Der Orden war auseinander gefallen - und alles
nur aus Gier nach dem Gold. Es war schwer, außer an Verrat und Rache noch an
etwas Gutes zu glauben.
Und doch versuchte Valcour, eine kleine, aber entscheidende Ecke seiner Seele
rein zuhalten. Dort bettete er seinen Glauben, denn ohne Glauben erschien ihm
alles bedeutungslos. Wenn er nicht glaubte, dann müsste er einsehen, dass so
viele tapfere Männer umsonst gestorben waren. Mit diesem Gedanken hätte er
nicht leben können. Er glaubte also, weil die Alternative unerträglich war. Er
wünschte, dass Niall auch diesen Trost besäße, aber der Schotte war zu
kompromisslos, sein Kriegerherz kannte nur schwarz oder weiß. Er war auf zu
vielen Schlachtfeldern gewesen, wo die Wahl eine ganz einfache gewesen war:
töten oder getötet werden.
Valcour hatte für den Herrn gekämpft, aber er war nie ein Krieger wie Niall
gewesen. Die Hitze des Gefechts macht den Kopf in aller Regel klar, weil sie das
Leben auf die einfachsten Wahlmöglichkeiten beschränkt.
Der Orden brauchte Niall, um seinem wichtigsten und geheimsten Gelübde
nachzukommen. Die Bruderschaft war am Ende, jedenfalls in ihrer jetzigen Form.
Ihre heilige Pflicht jedoch bestand fort. Und Niall war als ihr Hüter auserwählt
worden.
»Gut, aus welchem Grund auch immer«, murmelte Valcour. »Beschütze sie gut,
denn sie sind die wahren Schätze unseres Herrn. Sollten sie in die Hände des
Bösen fallen, so wäre das Blut unserer Brüder vergeblich geflossen. So soll es
denn sein: wenn nicht für Ihn, dann für sie. «
»Bei meinem Leben«, schwor Niall von Schottland.
Dezember 1309 Creag Dhu, Schottland
»Seit deinem letzten Besuch haben noch drei weitere Ritter den Weg hierher
gefunden«, murmelte Niall an seinen Bruder Robert gewandt, während die
beiden in Nialls Kammer vor dem knisternden Feuer saßen. Eine große, dicke
Talgkerze stand auf dem Tisch, an dem sie
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