Wie Tau Auf Meiner Haut
Niall erwachsen sein würde und ihm treu
ergeben bliebe, besaß er eine jener Persönlichkeiten, denen die Menschen gerne
folgten. Die Umstände seiner Geburt waren ein Geheimnis. Geheimnisse aber
haben die Angewohnheit, irgendwann einmal gelüftet zu werden. Niall selbst
hatte das bestätigt, als er Robert mit der Frage überrascht hatte, ob es denn
stimme, dass sie Brüder wären.
Im Kampf um die Thronfolge war es nicht ungewöhnlich, dass man mögliche
Konkurrenten durch Mord ausschaltete. Aber weder Robert noch seinem Vater,
dem Grafen von Carrick, war auch nur der Gedanke an so etwas erträglich. Es
wäre geradeso, als ob man eine lodernde Flamme löschen würde und alle im
Dunkeln zurückließe. Niall sprühte vor Lebenskraft, er war frohgelaunt und zu
Scherzen aufgelegt, und er zog Menschen magnetisch an. Er hatte unter den
Jüngeren immer schon die Führerrolle übernommen, hatte seine Kameraden in
irgendwelche Blödeleien hineingezogen, die Strafe aber stets ganz allein auf
seine Kappe genommen.
Als er vierzehn war, rannten ihm die Jungs mit leuchtenden Augen und
geschmeidigen Körpern hinterher. Seine Stimme war schon früh tief, Schultern
und Brust bereits ausgeprägt. In seiner aufgeschossenen Länge hätte er gut und
gerne den Körper eines Erwachsenen unterbringen können. Besonders talentiert
hatte er sich im Umgang mit Waffen gezeigt, die ständige Übung mit Streitäxten
und Schwertern hatte ihn weiter gestählt. Robert bezweifelte, dass er seine
Nächte allein verbrachte, denn nicht nur die jungen Männer rannten ihm
hinterher, sondern auch die Frauen, von denen einige sogar verheiratet waren.
Niall hatte sich jedoch verändert. Angesichts des Verrats, durch den der
Tempelorden besiegt worden war, überraschte Robert das nicht. Nialls
Anziehungskraft hatte nicht nachgelassen, aber er war jetzt härter, und seine
schwarzen Augen hatten etwas Stählernes, wenn er lächelte. Als Junge war seine
Kraft unerschöpflich gewesen. Jetzt war er erwachsen und ein gefürchteter
Krieger. Er hatte die Kunst der Geduld erlernt. Seine Ruhe aber war die eines
Jägers, der seiner nächsten Beute auflauert.
Betont deutlich sagte Robert: »Schottland wird sich nicht der Verfolgung des
Tempelordens anschließen. «
Wieder bohrte sich Nialls Blick wie ein scharfes Schwert in ihn hinein. »Dafür hast
du meine Dankbarkeit... und mehr, solltest du Gebrauch davon machen wollen. «
Was Niall unausgesprochen gelassen hatte, hing jetzt wie ein dunkler Schatten
im Raum. Die wachsamen Augen blieben auf Robert gerichtet, der die Brauen
hochzog. »Mehr? « hakte er nach und nippte an seinem Wein. Er war neugierig
zu erfahren, was »mehr« denn bedeuten mochte. Er wagte es kaum zu hoffen...
vielleicht bot ihm Niall Gold an. Mehr als alles andere brauchte Schottland Gold,
um gegen die englische Krone Widerstand leisten zu können.
»Die Krieger sind die besten der Welt. Sie dürfen sich zwar nicht hier
versammeln, aber ich sehe keinen Grund, warum ihre Fähigkeiten ungenutzt
bleiben sollen. «
»Ich verstehe. « Robert blickte nachdenklich in die Flammen. Jetzt kannte er
Nialls Ziel, und in der Tat war es sehr verlockend. Nicht Gold bot er ihm an, dafür
aber etwas beinahe ebenso Wertvolles: Ausbildung und Erfahrung. Die
verstoßenen Ritter trugen zwar nicht mehr ihre roten Kreuze, aber sie waren
noch genau dieselben, die sie auch vor der Zeit waren, als der Papst gemeinsam
mit dem König von Frankreich sie zu zerstören suchte: nämlich die besten
Kämpfer der Welt. Der endlose Krieg mit England hatte Schottlands Rücklagen so
weit aufgebraucht, dass die Leute sich manchmal mit ihren bloßen Händen
verteidigen mussten. Aber so tapfer seine Leute, besonders die rauen Hochländer
waren, so wusste Robert nur zu gut, dass sie mehr brauchten: mehr Geld, mehr
Waffen und eine bessere Ausbildung.
»Misch sie doch unter dein Heer«, murmelte Niall. »Überlasse ihnen die
Ausbildung deiner Leute. Suche ihren strategischen Rat. Nutze sie. Im Gegenzug
werden sie Schotten werden und werden bis zum letzten Mann für dich und für
Schottland kämpfen. «
Die Krieger des Tempelordens! Allein der Gedanke war bereits Schwindel
erregend. Roberts Kriegerblut wärmte sich angesichts der Vorstellung, solche
Leute unter seiner Führung zu wissen. Was aber konnte eine Handvoll Männer
ausrichten, ganz gleich, wie gut sie auch ausgebildet sein mochten? »Wie viele
Männer sind es denn? «
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