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Wie Tyler Wilkie mein Leben auf den Kopf stellt und was ich dagegen tun werde: Roman (German Edition)

Wie Tyler Wilkie mein Leben auf den Kopf stellt und was ich dagegen tun werde: Roman (German Edition)

Titel: Wie Tyler Wilkie mein Leben auf den Kopf stellt und was ich dagegen tun werde: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shelle Sumners
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Mittagessen mit Julia und mein darauffolgender Drang nach klösterlicher Abgeschiedenheit
    Einmal im Monat, immer freitags, kommt meine Mutter nach Manhattan, um mit mir Mittagessen zu gehen und Regie über mein Leben zu führen. Sie wohnt schon seit zwanzig Jahren nicht mehr in New York, deshalb nutzt sie unsere Verabredungen unter anderem als Vorwand, neue Restaurants auszuprobieren. Gestern erhielt ich per E-Mail Instruktionen, sie in einem malaiischen Restaurant in Midtown zu treffen, ganz in der Nähe meiner Arbeitsstelle.
    Ich bin eine pünktliche Frau. Ich komme immer zur verabredeten Zeit oder sogar ein bisschen zu früh. Aber ich werde niemals irgendwo früher eintreffen als Julia Barnum.
    Als ich zu ihr an den Tisch trat, stand auf meinem Tischset bereits ein milchig-beschlagener Thai-Eistee. Meine Mutter stand auf und umhüllte mich mit dem Duft von Freesien und teuren Haarpflegeprodukten, als sie mich in ihre sehnigen Arme schloss. Sie trainiert täglich und hat mich schon mehr als einmal im Armdrücken geschlagen. Wir setzten uns und breiteten unsere Servietten aus.
    »Ist etwas passiert?« Sie strich sich besorgt einige kupferfarbene Ponysträhnen aus dem Gesicht.
    »Nein!«, erwiderte ich. »Warum fragst du mich das jedes Mal?«
    »Weil du immer ein bisschen bedrückt wirkst, wenn wir uns treffen. Allmählich befürchte ich, ich sollte das persönlich nehmen.«
    Jetzt bloß nicht zu vehement leugnen! Lächelnd nippte ich an meinem Tee. »Nein, alles in bester Ordnung.«
    Meine Mutter studierte die Speisekarte. »Du müsstest mal wieder zum Friseur, findest du nicht auch?«
    »Stimmt«, sagte ich.
    »Was willst du nehmen?«, fragte sie.
    »Das Ingwerhühnchen?«
    »Möchtest du nicht lieber etwas Scharfes probieren? Vielleicht das Rindfleisch in Chilisauce?«
    »Okay, das klingt gut.«
    »Oder lieber etwas mit Tofu?«
    »Einverstanden.«
    Sie knallte ihre Karte auf den Tisch. »Hör auf, mir nach dem Mund zu reden!«
    Meine Mutter ist County-Staatsanwältin in Trenton, New Jersey. Sie ist klug, überzeugend und unermüdlich bestrebt zu gewinnen. Was immer ich von der Speisekarte wähle – sie versucht mich zu etwas anderem zu überreden, nur so zum Spaß.
    »Tut mir leid«, erwiderte ich achselzuckend.
    Sie verdrehte die Augen und bestellte für uns, als der Kellner kam.
    »Und, wie geht es Steven?« Wieder strich sie ihre Haare zurück, und ihre Silberarmbänder klirrten. Meine Mutter ist eine Schönheit, die mit fünfzig auf die dreißig zugeht, immer makellos gestylt, ob als Staatsanwältin bei Gericht oder als Anklägerin, so wie heute (kleiner Scherz!), in Jeans, Pullover und Boots.
    »Ihm geht es gut. Er muss immer noch oft nach München und Washington D. C.«
    »Das klingt doch gar nicht schlecht. Im Gegenteil, sogar ideal, findest du nicht auch?«
    Für meine Mutter waren Männer ein notwendiges Übel. Sie ärgerte sich darüber, dass sie sich zu ihnen hingezogen fühlte, betrachtete es aber von der praktischen Seite. Wir brauchten nun mal ihre Spermien und ihre Bereitschaft, einen überfluteten Keller mit einer Pumpe trockenzulegen. Im Gegenzug erwarteten sie von uns ein paar Annehmlichkeiten.
    Wenn wir aber über Steven sprachen, strahlte sie Wohlwollen aus. Sie störte sich nicht daran, dass er geschieden und zehn Jahre älter war als ich und konnte sich für seine Arbeit als Patentanwalt für ein bedeutendes Pharmaunternehmen begeistern. Ich weiß, das klingt jetzt, als sei meine Mutter durch und durch materialistisch. Aber sie beweist eben ihre Liebe zu mir unter anderem dadurch, dass sie sich über meine potentiell gesicherte Zukunft freut.
    Als Nächstes erzählte ich ihr etwas, von dem ich glaubte, dass es sie richtig begeistern würde.
    »Aber wie kannst du so viel von deinem Gehalt zurücklegen? Was ist denn mit der Miete?«, fragte sie.
    »Steven zahlt die monatlichen Raten für die Wohnung.«
    »Aber du beteiligst dich doch wohl zur Hälfte?«
    »Ich habe es versucht, aber er hat meine Schecks zerrissen. Er sagte, das sei ungerecht, denn es sei seine Wohnung, wir seien noch nicht verheiratet und er brauche mein Geld nicht. Also zahle ich die Nebenkosten und die Einkäufe und lege den Rest aufs Sparkonto.«
    »Aber ihr wollt doch heiraten, oder?«
    »Vielleicht. Wir überlegen es uns, wenn wir ein Jahr zusammengelebt haben.«
    »Und wann ist das? Im Frühjahr?«
    »Ja, im April.«
    Meine Mutter schüttelte den Kopf.
    »Wo liegt denn das Problem?«, fragte ich.
    »Ich

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