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Wie Viel Bank Braucht der Mensch?

Wie Viel Bank Braucht der Mensch?

Titel: Wie Viel Bank Braucht der Mensch? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Fricke
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in unserem Gehirn sofort so umgewandelt werden, dass wir das Gefühl haben, sie würden unser Grundurteil (die Daumenregel) bestätigen. Was erklären könnte, warum die Griechen in der Krise ab 2010 ohnehin keine Chance bei uns hatten. Alle Nachrichten, wonach die Regierung in Athen spektakulär kürzt, formatiert unser Gehirn gleich um. Bei jedem Fall von Swimmingpool-Bestechung freut es sich über Bestätigung. Nicht unbedingt Gewähr für effizient-rationales Marktwirken.
    Das Grundphänomen, das hinter den Daumenregeln steckt, hat John Maynard Keynes einmal auf den Punkt gebracht. In seiner General Theory unkte der britische Ökonom und Banker 1936, dass es an Märkten wie bei einem Zeitungswettbewerb zur Wahl der Schönsten zugeht. Wer beim Abstimmen gewinnen will, muss nicht wissen, wer die Schönste ist, sondern versuchen herauszukriegen, was alle anderen meinen, wer die Schönste ist. Oder am besten noch, was der Schnitt der Leute darüber denkt, wie der Schnitt der Leute abstimmt. So ähnlich sei das bei Investoren auch. Es kommt nicht darauf an, ob die Griechen oder andere gut konsolidieren, sondern ob alle finden, dass alle glauben, dass sie das machen.
    Was solche Kollektivreaktionen bedeuten können, zeigen Auswertungen des Wolfsburger Ökonomen Markus Spiwoks. Danach wurden die Gewinnprognosen von Analysten mit nahender Veröffentlichung der tatsächlichen Ergebnisse nicht treffsicherer, wie man vermuten sollte, weil Informationen besser werden und die Unsicherheit schwindet. Sie wurden mit der Zeit eher mieser. Dafür näherten sich die Prognosen der verschiedenen Analysten mit nahender Gewinnbekanntgabe einander stetig an. Was zu bestätigen scheint, dass die Analysten reichlich überfordert sind und lieber der Herde folgen, auch wenn die Prognose dadurch offenbar nicht besser wird. Motto: Lieber mit allen zusammen falsch liegen als alleine blöd dastehen.
    »Wir sind halt Produkte unserer Evolution, das verleiht uns eine einmalige Fähigkeit zu rationalem Denken, macht uns aber auch empfänglich für Herdenreaktionen«, schreibt Adair Turner. In unserer Evolution sei es halt auch immer wieder überlebenswichtig gewesen, in der Herde, der Menge, dem Stamm zu bleiben. Wenn das stimmt, macht das für das vermeintlich effiziente Funktionieren von Finanzmärkten einen großen Unterschied. Wenn die Akteure so häufig mehr oder weniger instinktiv der Herde folgen, fällt die Annahme in sich zusammen, wonach die große Menge an Beteiligten denkbar vielfältige Informationen mit sich bringt. Und dass es stets welche gibt, die bereit sind, gegen den Trend zu wetten.
    Fragt sich, ob es dann überhaupt ein objektiv bestimmbares Gleichgewicht gibt, einen »richtigen« Kurs, auf den alles hinsteuert. »Eine Erdbeere lässt sich anfassen, riechen, um beurteilen zu können, ob der Preis in Ordnung ist«, sagt der Bonner Wirtschaftshistoriker Moritz Schularick. Bei einem Wertpapier ist das schwieriger, wenngleich man sich bei einer Aktie noch auf ein paar Standardkriterien wie das Kurs-Gewinn-Verhältnis verständigen kann, um zu bewerten, ob ein aktueller Kurs eher zu hoch oder zu niedrig ist. Selbst da geht es aber um erwartete Umsätze und Gewinne. Und die sind von tausend Faktoren abhängig, die sich nur bedingt prognostizieren lassen.
    Noch viel schwerer wird die Angelegenheit, wenn es um Devisen und Staatsanleihen geht, mit denen der Zustand einer ganzen Volkswirtschaft bewertet werden soll. Dafür gibt es nicht einmal ansatzweise klare Kriterien. Ist bei Dollar und Euro eher entscheidend, wie stark die Wirtschaft wächst? Oder ob es hohe Exportüberschüsse beziehungsweise -defizite gibt? Oder die Höhe der Staatsschulden? Netto oder brutto? Oder die Privatverschuldung, die bei Italienern niedrig ist, während die Staatsschulden hoch sind, wogegen in Spanien die Staatsschulden niedriger sind und die Privatschulden höher? Und dann, bitte schön, noch die jeweils zu erwartenden Größen. Kein Wunder, dass manche Händler da lieber an der Daumenregel knabbern.
    »Die Märkte haben selbst wenig Ahnung«, schrieb Dani Rodrik von der Harvard University 2010 über den Handel mit Staatsanleihen.Da geht es am Ende darum zu beurteilen, ob ein Staat seine Schulden in mehr oder weniger weiter Zukunft zurückzahlen kann. Das sei in Wirklichkeit kaum vorherzusagen, so Rodrik, weil es »von einer nahezu grenzenlosen Zahl gegenwärtiger und zukünftiger Eventualitäten abhängt: von Steuer und Ausgabeplänen, vom Zustand

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