Wie Viel Bank Braucht der Mensch?
weltweit führenden Finanzinstitute im Schnitt auf ihre Kreditausfallversicherungen zahlten, fast stetig von 0,4 Prozent 2002 auf ein Rekordtief von deutlich unter 0,1 Prozent im Sommer 2007. Wahnsinn: »Am Tag vor Ausbruch der schlimmsten Finanzkrise seit 70 Jahren war die kollektive Einschätzung des Marktes, dass die Kreditwürdigkeit der Banken so gut war wie seit Ewigkeiten nicht«, so Turner. Weder aus den CDS noch aus Bankaktienkursen ließ sich nur der Hauch einer Vorwarnung ablesen für den nahenden Jahrhundertcrash. An den Märkten wurde die Übertreibung bis zur letzten Sekunde so noch gestützt.
Chronisch instabil? – Ein Ausflug ins menschliche Gehirn
Wie kann all das sein, auf derart großen und schnellen und globalen Märkten? Nur ein paar unschöne Ausnahmen von der Regel weiser Spekulation? Eher zweifelhaft. Friedmans märchenhaftes Modell für das Großexperiment Finanzglobalisierung steht und fällt mit dem Glauben an die heilende kollektive Intelligenz möglichst vieler Informanten – und an die Wunderwirkung stabilisierender Spekulanten. Wenn das nicht funktioniert, funktioniert auch das ganze Ding nicht.
In den vergangenen Jahren hat es einen regelrechten Schub neuer Forschungen gegeben, wie Anleger und Händler im Alltag reagieren – und ob sie nicht einen ausgeprägten Hang haben, oft überhaupt nicht so zu ticken, wie es Milton Friedman und seinen Jüngern vorschwebte. Wie so ein Finanzjongleur seine Entscheidungen trifft, lässt sich seit ein paar Jahren mithilfe moderner Hirnforschung besser testen.
Dabei wurden die Gehirnströme von Devisenhändlern während eines Handelstags gemessen. Ergebnis: Die Händler sind im Grunde heillos überfordert, wenn sie quasi im Sekundentakt endlos viele, teils widersprüchliche Informationen aufnehmen und dann schnell kaufen oder verkaufen müssen.
Kein Wunder. Da ist ein Dollar-Händler schon mal damit konfrontiert, dass zum Börsenstart erst schlechte Daten zur US-Industrieproduktion veröffentlicht werden – was für Verkaufen von Dollar spräche –, die Daten allerdings besser sind, als Analysten im Schnitt erwartet hatten – was für Kaufen spräche. Und nur zwanzig Minuten später läuft über die Newsticker, dass ein US-Konzern unerwartet geringe Verluste meldet (jetzt wieder kaufen?), bevor die US-Statistikbehörde einen deutlichen Anstieg des Exportdefizits meldet (sofort verkaufen!), während gute Konjunkturdaten aus China wiederum für bessere Exporte sprechen, was für Sie-wissen-schon spricht. Da hatte der alte Friedman gut reden. So einfach ist das eben nicht, Informationen zu verarbeiten.
In ähnlichen Experimenten mit professionellen Wertpapierhändlern testete Andrew Lo von der MIT Sloan School of Management, wie stark einzelne Entscheidungen durch Emotionen statt rationaler Erwägungen geprägt sind. Dazu maßen Lo und seine Kollegen während eines Handelstags den Hautleitwert (»skin conductance«), den Puls und andere Merkmale für emotionale Regungen. Ergebnis: Es gibt »eine hohe Korrelation zwischen Hautreaktionen und einschlägigen Marktereignissen – sowie zwischen Herzverhalten und der Stärke von Ausschlägen in den Marktkursen«. Woraus Lo schloss, dass emotionale Reaktionen bei den Händlern eine große Rolle spielen, anders als es dem Bild vom rationalen Spekulanten entspricht, der kühl kalkuliert und so stabilisierend wirkt.
Friedmans Nachdenker haben auf solche Einwände bis vor einiger Zeit stets gelassen gekontert – Tenor: Es mag ja hin und wieder emotionale Ausreißer geben, die Masse an Teilnehmern gewähre aber, dass in der Tendenz schon das richtige, sprich: das rational Erwartbare herauskomme.
Der Haken ist: Tests ergaben, dass die ebenso überforderten wie (deshalb) emotionalen Händler zweifelhaft kollektiv reagieren. So tendieren die Finanzakteure bei starker Informationsüberflutung dazu, grobe Daumenregeln zu entwickeln – etwa: Dollar derzeit gut oder Dollar schlecht – und dann die Informationen, die reinkommen, nur noch selektiv wahrzunehmen. Alles was für den Dollar spricht, wird als Bestätigung der Dollar-ist-prima-Daumenregel wahrgenommen.Widersprechende Informationen werden ignoriert. Ein typischer menschlicher Reflex, der auch bei frisch Verliebten auftritt.
Nach Forschungen des US-Neurobiologen Al Seckel funktioniert unser Gehirn sogar noch perfider. Bei seinen Hirnstrommessungen kam heraus, dass widersprechende Informationen nicht nur unbeachtet bleiben, sondern beim Eintreffen
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