Wie Viel Bank Braucht der Mensch?
und plötzlich mangels Stoppmechanismus Wellenbewegungen entstehen, die dann durch überforderte Händler und Investoren verstärkt werden und sich verselbständigen. Wobei der Wankelmut zum Desaster wird, weil es an Finanzmärkten und im Bankenverhalten eine Menge fatal wirkender Selbstverstärker gibt, wie selbst orthodoxe Notenbanker mittlerweile einräumen. Ein tückisches Phänomen, das als Prozyklik der Finanzmärkte bekannt ist.
Prozyklik – die Kernschwäche moderner Finanzmärkte
Große Freunde der Finanzglobalisierung würden sagen: Was soll’s – so ein bisschen Auf und Ab kann doch nicht schaden. Der Markt muss ja auch mal neue Trends testen. Und die Marktwirtschaft lebt ja davon, Neues auszuprobieren. Ob das so ist, hängt stark davon ab, wie folgenschwer die Herdentriebe wirken – und wie stark und systematisch sie durch das Verhalten von Bankern und anderen Beteiligten verstärkt werden. So dass es mit der romantischen Vorstellung von der Selbstfindung nicht mehr viel zu tun hat. Solche Selbstverstärker gibt es: ob Spekulanten oder Ratingagenturen. Dazu gehört auch die Neigung von Banken, sich im unpassenden Moment zu verschulden, ebenso wie der menschlich-kollektive Hang, in Exzesszeiten nur noch selektiv wahrzunehmen.
Die Rolle der Spekulanten
Ob Spekulanten gut oder böse sind, ist im Grunde nebensächlich. Selbst mit besten Absichten tragen all diejenigen zur explosiven Eigendynamik der Finanzmärkte bei, die versuchen, durchs WettenGeld zu machen. Auch Tante Erna. Wenn Kurse anziehen und der Trend solide scheint, wird jeder Fondsmanager einsteigen, weil er dann auf weiter steigende Kurse und so eigene Gewinne wetten kann. Wozu ihn im Zweifel nicht nur sein Chef, sondern auch seine Kleinanleger treiben werden. Und das Tolle daran: Wenn er einsteigt, trägt er selbst dazu bei, dass die Kurse noch mehr steigen. Die Nachfrage treibt den Preis, was wiederum das Verhalten des Fondsmanagers im Nachhinein als richtig erscheinen lässt.
Ist der Trend losgetreten, lockt das wieder andere, vorsichtigere Investoren, die dann ebenfalls einsteigen, weil sie auf weiter steigende Kurse setzen, was wiederum den Preis weiter steigen lässt. Klingt verrückt, passiert aber in der Praxis immer wieder genau so, solange es keine verlässlich stabilisierende Spekulation gibt – was weder im Asien-Hype bis 1997 der Fall war, noch in der New-Economy-Sause kurz darauf oder in den Immobilienbooms der 2000er Jahre in den USA, Spanien, Großbritannien und Irland. Um nur einige Beispiele zu nennen.
Tückische Mathematikmodelle
Zu den fatalen Verstärkern zählen im Derivatzeitalter auch moderne Techniken beim Handeln. Um die Risiken ihrer hochkomplizierten Anlagen irgendwie messbar zu machen, entwickelten Hedgefonds und andere ebenso hochkomplizierte mathematische Modelle, die alle auf mehr oder weniger einfachen (und wackligen) Annahmen beruhen. Dabei wird das Risiko bestimmter Papiere abgeleitet aus der Erfahrung mit solchen Papieren, also den durchschnittlichen Reaktionsmustern der vergangenen Jahre. Im Grunde ähnelt das dem eingangs zitierten Bankberater, der mit dem Kursverlauf der vergangenen Jahre für eine Aktie wirbt. Obwohl lange Kurszuwächse in der Vergangenheit auch Indiz einer Übertreibung – und eines nahenden Kurscrashs – sein können.
Genau hier liegt auch die Tücke. Die Risikomodelle aus den Jahren bis 2007 waren auf Basis der Erfahrungswerte aus der goldenen Zeit berechnet – und beinhalteten per Definition natürlich nicht, dass es alle paar Jahrzehnte auch mal zum großen Absturz des Finanzsystems kommen kann. Die letzte ähnlich große Krise war jagut ein Dreivierteljahrhundert her. Die entsprechenden Erfahrungswerte flossen in keins der heutigen Modelle und seine Durchschnittswerte mehr ein. Weshalb das Risiko dramatisch unterschätzt wurde. Nach etlichen unbeschwerten Jahren kommt bei solchen Risikorechnungen halt ganz automatisch heraus, dass die betreffenden Kredite oder Wertpapiere kaum Gefahren unterliegen.
Das erklärt auch, warum die Risikoaufschläge auf Kreditausfallversicherungen genau in dem Moment Rekordtiefs erreichten, als 2007 der Crash kam. Hier setzt die Selbstverstärkung ein: Je mehr die mathematisch aufwendig berechneten, in Wirklichkeit so aber trügerisch klein gemessenen Risiken sanken, desto mehr Grund gab es scheinbar, ebenfalls einzusteigen, was die Risikoprämien weiter sinken ließ. Und so weiter. Die Warnmodelle funktionierten genau in dem Moment nicht,
Weitere Kostenlose Bücher